Kapitulation oder Tod für Aleppo

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SYRIA-CONFLICT-ALEPPO-CORRIDORS(c) APA/AFP/KARAM AL-MASRI
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Dem Assad-Regime und seinen Verbündeten bieten die derzeitigen internationalen Wirren nahezu freie Hand, um das Machtgefüge in Syrien bis Ende des Jahres in ihrem Sinn zu ordnen und zu festigen.

Höchstens noch aus den Augenwinkeln nimmt die internationale Gemeinschaft zurzeit das Drama von Aleppo wahr, wo sich momentan die größte Katastrophe des fünfjährigen syrischen Bürgerkriegs anbahnt. Monatelang hat die Armee von Machthaber Assad zusammen mit ihren Verbündeten Russland und Iran unter dem Deckmantel der Genfer Friedensgespräche den von den Rebellen beherrschten Teil der Stadt sturmreif geschossen.

Mehr als ein paar empörte Presseerklärungen oder von den USA mühsam herausgeschlagene 72 Stunden währende Feuerpausen hatte die westliche Seite diesem Abschlachten nicht entgegenzusetzen. Doch das könnte schon bald in einer fundamentalen Niederlage der moderaten Opposition enden.

Seit vergangener Woche ist der Belagerungsring um Aleppo völlig dicht. Erstmals seit vier Jahren gelang es dem Regime, die Versorgungslinien in die Rebellenviertel zu kappen. Die Lebensmittel reichen gerade noch bis Mitte August. Rund um die Uhr prasseln Fassbomben und Raketen auf die Eingeschlossenen herab, die systematisch Wohnhäuser, Bäckereien, Schulen und auch noch die letzten Krankenstationen in Schutt und Asche legen. Kurze Kampfpausen nutzten die Angreifer zu zynischen Propagandaspektakeln. Von Hubschraubern ließen sie Päckchen mit Babywindeln, Teebeuteln und Zahnbürsten herabregnen sowie Flugblätter mit Karten, auf denen angeblich „humanitäre Korridore“ eingezeichnet sind, durch die die Bewohner den Schergen des Regimes direkt in die Arme laufen.

Eine politische Überlebensgarantie

Doch ist zu befürchten, dass das blutige Kalkül von Damaskus, Moskau und Teheran bald aufgehen könnte. Kapitulation oder Tod heißt die Botschaft an die 300.000 Menschen im Ostteil Aleppos. Die Angreifer werden nicht zögern, die Viertel der Aufständischen in den nächsten Wochen menschenleer zu bomben. Wer nicht flieht und sich ergibt, der wird im Geschosshagel sterben.

Der Zeitpunkt für diese mörderische Militäraktion könnte kaum günstiger sein. Die Außenpolitik der USA ist in Frustration und Lähmung erstarrt. Präsident Barack Obama will seine Amtszeit nur noch ohne größere Turbulenzen zu Ende bringen, während seine Landsleute bereits im Bann des Nachfolgeduells zwischen Donald Trump und Hillary Clinton stehen. Europa ist abgelenkt durch seine eigenen Dramen – die Terrorserien in Frankreich und Deutschland sowie den Brexit und die Flüchtlingskrise. Ähnlich verwirrt agieren auch die regionalen Unterstützer der Rebellen. Saudiarabien ist seit anderthalb Jahren in einen blutigen und kostspieligen Krieg gegen seinen südlichen Nachbarn Jemen verstrickt. Die Türkei wiederum wird nach dem gescheiterten Militärputsch von drakonischen innenpolitischen Säuberungen geschüttelt.

Dem Assad-Regime und seinen Verbündeten bieten die Wirren nahezu freie Hand, das syrische Machtgefüge bis Ende des Jahres in ihrem Sinn zu ordnen. Durch die Rückeroberung Aleppos könnte das Regime seinen bisherigen Zweifrontenkrieg gegen moderate Rebellen und Jihadisten beenden und durch eine einzige Front gegen die Terrorbrigaden der al-Nusra-Front und des Islamischen Staats ersetzen. Die moderate Opposition, deren Aufstand 2011 einen friedlichen Machtwechsel erzwingen wollte, wäre zerschmettert, die Genfer Gespräche am Ende.

Eine komplette Kontrolle über Aleppo wäre für Bashar al-Assad die wichtigste politische Überlebensgarantie – auch im Hinblick auf die mögliche Obama-Nachfolgerin Hillary Clinton, die für ihre Syrien-Politik bereits einen schärferen Anti-Assad-Kurs angekündigt hat. Denn das Ende der moderaten Opposition ließe den USA für 2017 nur noch eine einzige Option – die kürzlich mit Moskau vereinbarte Militärkooperation gegen al-Nusra und Islamischen Staat. Dann aber wäre Washington nichts weiter als ein neues Mitglied der Pro-Assad-Allianz.

ALEPPOS ENDE

Syriens einst zweitgrößte Stadt und Wirtschaftsmetropole erlebt gerade ihren Untergang. Jahrelang heftig umkämpft, ist die Stadt jetzt von syrischen Regierungstruppen umzingelt, die verbliebenen 300.000 Einwohner sind in den Ruinen der zerstörten Stadt eingeschlossen. Ihre Vorräte reichen noch bis Mitte August.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2016)

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