Englischunterricht beginnt für Zehnjährige bei null

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Die Englischkenntnisse von Volksschulkindern sind mager. Experten plädieren für den Einsatz von eigenen Fremdsprachenlehrern.

WIEN.Was viele Eltern beklagen, spiegelt sich auch in den Erfahrungen von Experten wider: Englisch wird hierzulande zwar bereits ab der ersten Klasse Volksschule unterrichtet, doch am Ende der Grundschule können weder Gespräche aktiv geführt noch leichte schriftliche Texte verstanden werden. Fazit von Julia Hüttner vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Uni Wien: „Der Unterricht in der Sekundarstufe beginnt bei null.“

Barbara Buchholz, Professorin für Pädagogik und Englische Fachdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Burgenland, hat sich in einer Studie dem Status quo des Englischunterrichts in der Volksschule gewidmet. Ihre Ergebnisse sind ernüchternd. Demnach „fehlt rund der Hälfte der Schüler am Ende der vierten Schulstufe die Fähigkeit zu einer grundlegenden mündlichen Kommunikation. Insgesamt können nur knapp sieben Prozent der Volksschulkinder einfachstes Englisch sprechen“.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits wird das Fach von Volksschullehrern, nicht aber von speziell ausgebildeten Englischlehrern unterrichtet. In der Ausbildung von jüngeren Pädagogen ist beziehungsweise war der Bereich Englisch/Fremdsprachenvermittlung bereits im Lehrplan enthalten, und zwar derzeit im Ausmaß von meist fünf Semesterwochenstunden. Ältere Lehrer sollten ihre Englischkenntnisse in Fortbildungen aufpolieren. Das ist jedoch nicht immer geschehen.

Lieder, Reime

Andererseits stellt der Lehrplan ein erstes Kennenlernen der Sprache in den Vordergrund, der Unterricht soll integrativ erfolgen, also in andere Fächer eingebaut werden. In der Praxis werden Lieder gesungen, Reime nachgesprochen, immer mal wieder zwischendurch fünf, zehn Minuten Englisch gemacht. Der Lernfortschritt hängt stark vom Lehrer ab: Wie ernst nimmt er den Englischunterricht? Wie sicher ist er selbst in der Sprache? So kommt es, „dass die Testergebnisse der Schüler je nach Klasse beziehungsweise Schulstandorten in den einzelnen Skills um bis zu 400Prozent divergieren“. Auch deshalb setzen die Lehrer an AHS, Haupt- und Mittelschule bei null an.

Und: Manchmal kann sich der Volksschulunterricht sogar kontraproduktiv auswirken. „Einzelmeldungen befreundeter Lehrer beklagen, dass eingelernte Aussprachefehler in der AHS/HS/KMS wieder abgewöhnt werden müssen“, so Hüttner. Sie spricht sich daher wie auch Buchholz für Speziallehrer für das Fach Englisch aus. „Eine Volksschullehrerin muss ohnehin eine gewaltige Leistung für geringes Gehalt und Prestige erbringen“, sagt Hüttner. „Dann noch fremdsprachliche und fremdsprachendidaktische Kompetenz zu erwarten, ist recht viel verlangt. Und die unterschwellige Meinung, dass es für ,die Kleinen‘ reicht, wenn die Lehrerin nur ein bisschen mehr weiß, ist sicherlich falsch.“

Auch der Sprachwissenschaftler Rudolf De Cillia (Uni Wien) plädiert für einen Unterricht durch ausgebildete Englischlehrer und schlägt vor, den Kindern zwar wie bisher in der ersten und zweiten Klasse Englisch spielerisch nahezubringen, den strukturierten Fremdsprachenunterricht allerdings von der fünften auf die dritte Schulstufe vorzuziehen. Damit könnte auch wesentlich rascher – etwa in der sechsten oder siebenten Schulstufe – mit einer zweiten Fremdsprache begonnen werden.

Laut einer Studie des Instituts für Scientific Computing der Uni Wien wurden 2004/05in der Sekundarstufe I (Hauptschule, Mittelschule, AHS-Unterstufe) lediglich neun Prozent der Schüler in zwei Fremdsprachen unterrichtet; in der Sekundarstufe II (AHS-Oberstufe, BHS) waren es 32Prozent; und weitere vier Prozent lernten drei oder mehr lebende Fremdsprachen. Das Erlernen von zumindest zwei Fremdsprachen ist ein von der EU definiertes Ausbildungsziel.

Franz Schimek, Leiter des Europa-Büros im Wiener Stadtschulrat, erteilt dem Vorziehen des intensiven Fremdsprachenunterrichts allerdings eine Absage. In der Volksschule gehe es um den Spaß am Sprachenlernen. Man müsse hier auch die Rahmenbedingungen berücksichtigen: in Wien hätten 50Prozent der Volksschulkinder eine andere Muttersprache als Deutsch. Nun gemeinsam mit den deutschsprachigen Kindern auf gleichem Level in eine neue Sprache hineinzuschnuppern sei eine tolle Erfahrung. Zieht man die intensive Sprachvermittlung von der Sekundarstufe in die Volksschule vor, wären diese Kinder allerdings schlicht „überfordert“.

Mehr Native Speaker

Schimek unterstreicht jedoch das Bemühen, den Volksschülern auf anderem Weg Englischkompetenz zu vermitteln, etwa über das Projekt NESSIE (Native English Speaker Support in Education). Hier wird allen Schülern der vierten Schulstufe eines Bezirks im Rahmen eines einwöchigen Projekts die Möglichkeit geboten, erlernte sprachliche Fertigkeiten in Realsituationen mit einem Native Speaker Teacher anzuwenden.

Projekte wie dieses werden von Rudolf Edelmann, Didaktiker an der Pädagogischen Hochschule Wien, zwar lobend erwähnt, insgesamt seien aber „zu wenige Native Speaker im Einsatz“. Grundsätzlich gebe es zu wenig Zeit für den Unterricht. Wie auch De Cillia plädiert er für eine Stärkung des Fremdsprachenunterrichts in der Volksschule und eigene Fremdsprachenlehrer. Seine Kollegin Brigitte Roth sieht die größte Schwierigkeit in der „Gruppengröße“.

Dagmar Hackl, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Wien, würde sich wünschen, die „teilweise bereits bestehenden Konzepte zur Vereinheitlichung des Englischunterrichts in der Volksschule zu fördern“. Denn, so Hackl: „Kindergerechtes Erforschen der neuen Sprache mit einem gewissen Spaßfaktor in Verbindung mit seriöser, Outcome-orientierter Methodik (Lernen von Formen, Vokabeln, Redemitteln) müssen kein Widerspruch sein.“

An der Pädagogischen Hochschule Burgenland hat man inzwischen auf die Studienergebnisse bereits reagiert: Konzipiert wurde ein Fortbildungslehrgang für die Ausbildung von Volksschulsprachenlehrern und in Kooperation mit den Pädagogischen Hochschulen Niederösterreich und Kärnten ein Masterlehrgang „Sprachpädagogik und Mehrsprachigkeit“ entwickelt, sagt Buchholz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2009)

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