Filmfest Venedig: Götterdämmerung in gottloser Welt

between two worlds
between two worlds(c) Filmfestival Venedig
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Großes für Krisenzeiten: "Between Two Worlds", ein Bildgedicht aus Sri Lanka von Vimukthi Jayasundra, ist der verblüffendste Film im Wettbewerb. Ebenfalls sehenswert: Romeros "Survival of the Dead".

Die Gewalt macht selbst vor Micky Maus nicht halt! In einer unbekannten Stadt in Sri Lanka revoltieren die Menschen, stürmen einen Elektroladen und werfen Fernseher auf die Straßen. Dann packen sie einen Mann im Mauskostüm und verprügeln ihn gründlich. Die genauen Umstände werden nie ganz klar, aber das ist Teil der Faszination von Between Two Worlds, dem verblüffendsten Film des Wettbewerbs in Venedig. Der junge singhalesische Regisseur Vimukthi Jayasundra – sein voriger Film Das verlassene Land wurde 2005 in Cannes als bestes Debüt prämiert – entwirft eher ein Bildgedicht, als dass er eine Geschichte erzählt: Zur Eröffnung ein eindrucksvolles, nebelverhangenes Bergpanorama, plötzlich stürzt ein junger Mann vom Himmel ins Meer. Dann sieht man ihn beim urbanen Aufstand an der Mausattacke teilnehmen, bevor er aufs Land fährt, wo sich Menschen Mythen erzählen.

Bilder aus einem gespaltenen Land

Manche ähneln westlichen Legenden, der Mann scheint sich in ihnen zu verlieren: Am Ende sitzt er in einem hohlen Baumstamm, wie der Prinz aus einer zuvor erzählten Geschichte. Der zügige Rhythmus und die starken Bilder sind packend, aber mysteriös: Between Two Worlds ist ein Film, der in der Vorstellungskraft des Zusehers weiterwächst. Regisseur Jayasundra sieht ihn als Ausdruck einer gespaltenen Nation, in der die Kräfte der Geschichte und der Natur auf die Zeichen der Moderne treffen, was sich manchmal in eigenartig traumhaften Gewaltausbrüchen niederschlägt. Wiewohl auf den ersten Blick exotisch und fern, fügt sich der Film doch sehr schlüssig in die wesentlichere der beiden Hauptströmungen dieses Festivals.

Zum einen gibt es – meist außer Konkurrenz – vordergründig „politische“ Filme, die dabei recht wenig zu sagen haben: weil sie sich in einseitiger Propaganda erschöpfen wie die erbärmliche antikapitalistische Polemik von Michael Moore oder die dünne Dokumentation South of the Border von Oliver Stone, in der sich der US-Filmemacher auf Freundschaftsbesuchen bei Hugo Chávez und anderen südamerikanischen Politikern inszeniert. Oder weil mit halblustigen Verschwörungstheorien hausieren gegangen wird, ohne auf den Punkt kommen: etwa in Grant Heslovs Komödie The Men Who Stare at Goats, in der Stars wie George Clooney und Jeff Bridges absurde New- Age-Kriegskonzepte auftischen, oder in Steven Soderberghs – ebenfalls auf einem Sachbuch basierenden – Historienwitz The Informant! mit Matt Damon.

Zum anderen beschäftigen sich die besten Filme des Wettbewerbs mit Zivilisationskrisen, deren Ursprünge durchwegs unerklärt bleiben – was den gegenwärtigen Gefühlen der Unsicherheit angesichts der prekären Wirtschaftslage nur allzu gut entspricht. Die Ahnung eines Bürgerkriegs liegt über Jayasundras Bildern von Sri Lanka in Between Two Worlds, im atmosphärischen Afrika-Drama White Material der Französin Claire Denis ist er schon ausgebrochen: Isabelle Huppert versucht als Besitzerin einer Kaffeeplantage weiterzumachen, während sich die Existenzen rund um sie aufzulösen beginnen – so wie die Erzählung, die in Zeitfragmente zersplittert.

Der sechste Teil des Zombie-Zyklus

Ein vollends apokalyptisches Bild liefert – wie zuvor John Hillcoat in der düsteren Romanverfilmung The Road – der Horroraltmeister George A. Romero. Seit er 1968 mit Die Nacht der lebenden Toten das Zombie-Genre entscheidend geprägt hat, dient es ihm als Vehikel für eine geheime Geschichte der Abgründe Amerikas. Survival of the Dead, der mittlerweile sechste Teil von Romeros Zombie-Zyklus, läuft sensationellerweise in der Konkurrenz – normalerweise muss diese Art von Horror- und Actionkino im Ghetto der Mitternachtssektionen bleiben. Aber die Entscheidung ist gerechtfertigt: Kein anderer Film hier ist so dringlich in seinem Humanismus und so engagiert in seiner Gesellschaftskritik. Mit der Einbindung von Western- und Kriegsfilmelementen erinnert Survival of the Dead gar an das klassische Kino des großen Hollywood-Regisseurs John Ford, das hier den Umständen entsprechend zugespitzt ist.

Auf einer Insel vor der US-Küste eskaliert während einer weltweiten Zombie-Katastrophe die alte Fehde zwischen zwei verfeindeten irischen Clans: Ein Großgrundbesitzer will die Koexistenz mit den übermächtigen Untoten erreichen, indem er sie lehrt, etwas anderes als Menschenfleisch zu essen. Sein Widersacher predigt einen totalen Vernichtungskrieg. Ihre Konfrontation inszeniert Romero mit bitterer Ironie, in aller Konsequenz: Die letzten Menschen sind eher bereit, sich gegenseitig umzubringen, als den anderen recht zu geben. Vielleicht bis in alle Ewigkeit: Im ehrfurchtgebietenden Schlussbild lässt Romero die längst selbst zu Zombies gewordenen Streithähne zum Duell antreten, vor einem riesigen Mond: eine Art Götterdämmerung in einer gottlosen Welt.

Politische Proteste

Rechte Gruppen protestieren gegenMichele Placidos italienischen Wettbewerbsbeitrag „I grande sogno“, weil er die 1968er-Bewegung behandelt.

Alessandra Mussolini, rechte Politikerin und Duce-Enkelin, hat mit einer Klage gegen den rumänischen Mostra-Film „Francesca“gedroht, weil sie darin von einer Figur als Schlampe bezeichnet wird. Sie ist bekannt dafür, die Fremdenfeindlichkeit anzuheizen, angeblich auch mit dem Satz „Rumänen haben Vergewaltigung in ihren Genen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2009)

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