Ein gemeinsames EU-Heer? Ja, warum denn nicht?

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Bundesheer(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Für eine gemeinsame militärische Truppe braucht man freilich eine gemeinsame EU-Sicherheitspolitik. Und überhaupt mehr Gemeinsamkeit.

Immer wenn die Europäische Union in der Krise steckt – und wir gewöhnen uns schon fast daran –, peilt irgendein kluger Kopf einfach irgendein höheres Ziel an. Auf dass sich die Probleme darunter und dahinter in Luft auflösen mögen. Diese nicht übertrieben subtile Variante der Verdrängung wurde in den vergangenen Jahren immer wieder angewandt: Griechenland taumelt in den Konkurs und muss mit Milliarden gerettet werden? Das Ziel heißt nun gemeinsame Finanzpolitik! Hunderttausende Flüchtlinge setzen Außengrenzen und Schengen außer Kraft? Wir plädieren für eine gemeinsame europäische Lösung und Aufteilung! Immer mehr Staaten halten sich nicht an die Regeln, das Defizit einigermaßen in Zaum zu halten? Wir brauchen einheitliche Steuersätze in Europa!

Keiner weiß, wie eine Europäische Union ohne Großbritannien – die je nach Zählweise wichtigste oder zweitwichtigste Militärmacht Europas – aussehen und organisiert sein wird. Jean-Claude Juncker träumt nun von einer gemeinsamen EU-Armee. (Und bei ihm handelt es sich tatsächlich um einen wahrhaft klugen, wenn auch politisch schwierigen Kopf.) Der Traum ist so alt wie die Hoffnung auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wobei sie immer dann funktioniert, wenn die USA wie im Fall der Sanktionen gegen Russland mit an Bord sind.

Um nicht missverstanden zu werden: Gäbe es einen militärischen Zusammenschluss oder eine engere militärische Kooperation der Mitgliedstaaten, wäre das begrüßenswert. Insbesondere, wenn sich nur jene Länder beteiligen, die das von sich aus wollen. Aus zwei einfachen Gründen: Erstens ist der Bedrohungslage durch Terror und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen wie in der Ostukraine nicht durch regional stationierte Soldaten beizukommen. Zweitens dürfte eine geeinte und naturgemäß größere militärische Kraft autoritär veranlagte Gemüter wie Putin oder Erdoğan mehr beeindrucken als ein paar mittelgroße und viele kleine Armeen.

Die ersten Kernpunkte des Plans klingen auch durchaus vernünftig: Ein Hauptquartier soll Einsätze koordinieren, die teilnehmenden Länder sollen Waffen und Ausrüstung noch stärker aufeinander abstimmen. Die bereits vorbereiteten Battle Groups sollen jeweils 1500 Soldaten stark und innerhalb von zehn Tagen einsatzbereit sein. Ob daraus gleich „eine europäische Verteidigungsunion“ wird, wie das die deutsche Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, glaubt, darf trotz aller Euphorie bezweifelt werden.

Es wäre nicht Europa, würde nicht schon längst an die jeweils eigenen nationalen Vorteile gedacht werden: Die osteuropäischen Staaten erwärmen sich für gemeinsame militärische Abschreckung vor allem, da sie den Nachbarn im Osten fürchten. Und Österreichs Verteidigungsminister, Hans Peter Doskozil, freut sich schon auf eine gemeinsame Truppe, die die Außengrenze schützt. Österreich wird sich sicher maßgeblich an der Mittelmeerflotte beteiligen.


Und noch ein Punkt lässt an dem Plan und der EU dann doch verzweifeln: Ein wichtiges demokratiepolitisch erfahrenes Land will nach einem Volksentscheid die EU verlassen, da es den Verlust der eigenen Souveränität gefürchtet (und vielen Lügen geglaubt) hat. Und was macht die Spitze der EU? Freut sich nach kurzer Schrecksekunde und verkündet: Jetzt müssen wir auf keinen mehr Rücksicht nehmen und können endlich die Pläne für eine Vertiefung der EU vorantreiben! So wird das nicht funktionieren.

Denn genau dank der Briten sollten wir in der EU eine wichtige Entscheidung diskutieren und fällen: Wollen wir noch viel mehr Union und Supranationalität, wie dies in der Spitzenpolitik offenbar als Selbstverständlichkeit angenommen wird? Oder doch eine schmalere Union mit eventuell unterschiedlichen Geschwindigkeiten? Bevölkerung und Wähler in eine solche Richtungsentscheidung nicht einzubinden wäre ein schwerer Fehler. Das würde nur den Rechtspopulisten und weiteren Exitkampagnen helfen. Wie meinte Tory-Politiker Lord Daniel Finkelstein bei seinem Wien-Besuch (auf Einladung des Lebensmittelkonzerns Rewe) im „Presse“-Gespräch? Die EU sollte danach trachten, sich rasch so zu verändern, dass keiner mehr auf die Idee komme auszutreten. Indeed.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2016)

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