Konzerthaus: Rattenfänger für Rameau

(c) Clemens Fabry
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Jubel für den Saisonauftakt mit Teodor Currentzis und Musik von Jean-Philippe Rameau: Wild, explosiv – aber auch traumhaft schön.

Klingende Gemmen sind sie, die vielen Instrumental- und Tanzstücke in den Opern Jean-Philippe Rameaus: manche grazil, manche deftig, tonmalerisch oder seelenerkundend, dort polyphon durchwirkt, da in markigem Unisono – ein Kaleidoskop der Stimmungen mit dramaturgisch vielfältigen Zwecken an ihrem angestammten Ort im Musikdrama. Im Roman „Anmut und Gnade“ (2007) lässt allerdings Wolfgang Schlüter den fiktiven österreichischen Dirigenten Erlmayr in einer Probe warnen: „Freilich, ihr könnts diese ,symphonies‘, Airs und Danses auch herausklauben und zu einer Suite bündeln oder sie zu einer ,Symphonie‘ aufmascherln, aber dann habts ihr halt Video-Clips. Einen Bunten Abend. Ein Sackerl voller Schmankerl, an denen man sich rasch satt hört. Dann verliern die Stücke ihren Sinn . . .“

Da ist etwas Wahres dran. Der griechische Dirigent Teodor Currentzis und sein Originalklangensemble Music Aeterna machen es trotzdem, auf einer preisgekrönten CD („Currentzis rockt den Rameau“, hieß es in einer Kritik so marktschreierisch wie treffend) und im Konzert, etwa nun zur Eröffnung der 104. Saison im Wiener Konzerthaus. Und wie! Es war dies zugleich der Auftakt eines Currentzis-Porträts, das den 44-jährigen Maestro mit dem penibel gepflegten Image des genialischen Nonkonformisten noch in sechs weiteren Programmen von der Klassik bis zu Schostakowitschs „Leningrader“ (mit den Wiener Symphonikern) präsentiert.

Ein bisschen fragwürdig

Gewiss, häppchenweise Tragédie lyrique, Pastorale héroïque, Opéra-ballet: Man muss angesichts eines solchen Sammelsuriums nicht gleich mit Adornos klassischem Vorwurf über den „Fetischcharakter in der Musik“ argumentieren, um das wenigstens ein bisschen fragwürdig finden zu dürfen. Aber wie Currentzis und seine auf ihn eingeschworenen Kräfte Rameau neu erfinden, also wild, stampfend, ungezügelt, gehetzt, aber auch ätherisch und mit anmutigem Swing, könnte neue Zuhörerschichten erschließen. Im Vergleich mit dem explosiven Mix aus Sirtaki und Kasatschok, der hier für die nötige Unterhitze sorgt, wirken etwa Kollegen wie William Christie oder auch Marc Minkowski bei ihren Rameau-Deutungen reichlich brav. Noch in den Schlussakkorden rührt Currentzis um, als wären sie von Ligeti, eine Arie aus „Platée“ entwickelt sich aus Clustern, bei den Zugaben schnallt er sich die große Trommel um: ein Rattenfänger für Rameau.

Im Großen Konzerthaussaal stießen freilich zumindest die Tempoextreme mehrfach auf akustische Grenzen. Und tatsächlich drohte man sich im zweiten Teil sattzuhören – wären da nicht das „Entrée de Polymnie“ („Les Boréades“) und die Arie „Tristes apprêts“ („Castor et Pollux“) gewesen: Bewegende Schönheit, in Ruhe entwickelt, und von Robin Johannsen mit zart leuchtenden Soprantönen ausgestattet. Die stillen, eigentlichen Höhepunkte dieses tatsächlich bunten Abends. Große Begeisterung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2016)

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