Pop

Alles elektrisch! Alles leuchtend! Alles dringlich!

(c) Wiener Konzerthaus
  • Drucken

Kompost 3 entzückten im Konzerthaus mit einem Slalom zwischen Sensibilität und Brachialität.

Das Konzept der Künstlerkommune ist zurück. Ob Folkmusiker im Topanga Canyon nahe Los Angeles oder das Klassikkloster, das der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis in Sibirien betreibt: Das Auflösen der Grenzen zwischen Kunst und Leben hat wieder Saison. Auch in Wien 3: Eine (mittlerweile aufgelöste) Wohngemeinschaft ebendort prägte die aufwühlende Musik von Kompost 3. Man traut sich gar nicht, Jazz dazu zu sagen. Trompeter Martin Eberle, Keyboarder Benny Omerzell, Bassist Manu Mayr und Schlagzeuger Lukas König erzeugen einen fiebrigen Sound, der delikate Funk-Grooves, wüste Prog-Rock-Figuren und vieles mehr zusammendenkt. Keine Fusion, sondern Dynamisierung von den Rändern her: Abgründige Stille und tumultarisches Tosen durchdringen einander.

Glockenhell: Mira Lu Kovacs

Weil ihnen das nicht genügend Kontrast war, haben Kompost 3 jüngst Folkchanteuse Mira Lu Kovacs dazugeholt. Gemeinsam stellten sie die EP „MeM“ im Wiener Konzerthaus vor. Ein gestrichener Kontrabass lockte in verdächtig lauschige Soundscapes. Martin Eberle strich mit einem Violinbogen über etwas, das aussah wie ein zerrupfter Kronleuchter. Alles elektrisch, alles leuchtend, alles leidenschaftlich: „Passion“ hieß das Stück knapp. Dann setzte Kovacs' glockenhelle Stimme ein. Zunächst in gemessenem Ton, aber bald dringlicher. Klug dosierte sie ihren immer nahe am Pathos spazierenden Gesang. Die behutsam aufgeföhnten Emotionen mündeten in „What If“ in ein apokalyptisches Trompetensolo.

So erratisch diese Klanglandschaften auch sein mögen, Ödland sind sie nicht. Da wachsen Blumen, wenngleich oft böse. Die von Omerzell gestalteten Videos wie „Anthem“ sind Albtraum und Märchenerzählung in einem. Live sang Kovacs zu Omerzells Kasperl-Keyboards sublim wie Joni Mitchell zu ihrer Zeit mit Jazzsaxofonist Wayne Shorter, bewegte Arme und Hände geziert, als spiele sie ein Theremin. Die Band ließ es derweil brodeln, zischeln und zärtlich wüten. So gelang das Rare: Avantgardesound mit Popappeal. Wo sich andere in Labyrinthen der Verrätselung verirren, bekennen sich Kompost 3 und Mira Lu Kovacs zu unverstellter Emotionalität. Etwa in „Not a Love Song“, das dem jähen Hereinbrechen der Liebe mit qualifizierter Unruhe begegnete.

Kompromisslos resch war das Ende. Das diabolische Instrumental „K-Town“ erinnerte an den Canterbury Sound von englischen Prog-Rock-Bands wie Soft Machine und Gong. Standing Ovations!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.