Lehrer zurück in der Realität

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Raus aus dem Klassenzimmer. BMHS-Lehrerinnen erlebten fünf Tage lang den Alltag in Wiener Unternehmen. Ziel des Projekts: „Verständnis schaffen“.

Wien. Seit fünf Tagen schleppt Nikola Juranek Putzmittel durch ein Altersheim. Lässt sich erklären, welche Reinigungstücher für welche Oberfläche geeignet sind. Oder marschiert mit Warnweste bekleidet über die Gleise des Südbahnhofs, um die Reinigungsarbeiten in Zügen zu begutachten.

Das Besondere daran? Eigentlich ist Juranek Lehrerin. Seit 13 Jahren ist sie im Staatsdienst, unterrichtet BWL und Rechnungswesen an der berufsbildenden Schule in der Wiener Friesgasse. Knapp nach Schulbeginn hat sie sich entschlossen, nach Jahren wieder einen Blick in die Privatwirtschaft zu wagen: „Sehen, ob das, was ich den Schülern beibringe, eigentlich noch stimmt“, sagt Juranek.

Gemeinsam mit zehn Kolleginnen aus Wiener Schulen nimmt Juranek daher an einem Praktikum des Wirtschaftsforums der Führungskräfte (WdF) teil. Eine Woche lang durften die Pädagoginnen am Arbeitsalltag von fünf Wiener Unternehmen – darunter auch dem Reinigungsunternehmen Reiwag– teilnehmen. Das Ziel: die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu verringern, einen Schritt aus dem Klassenzimmer hinaus in die „Realität“ zu machen. „Managementalltag“ kennenlernen, nennt es das WdF. Sich „updaten“, sagen die Lehrerinnen. „Wirtschaftliche Fächer leben von dieser Außensicht“, sagt Marika Eder-Höhn, die an der Vienna Business School Hamerlingplatz unterrichtet. „Wir müssen auf dem Laufenden bleiben.“

Zu wenig Mittel für Fortbildung?

In ihren Worten schwingt Kritik mit. Dass den Lehrern oft vorgeworfen wird, sie arbeiteten in einem geschützten Bereich, finden hier alle unfair. Den Kontakt zur Privatwirtschaft würden viele Lehrer suchen, die Möglichkeiten seien aber beschränkt: Im Unterricht dürfen sie nur wenige Tage im Jahr fehlen, um sich fortzubilden. Viele Kollegen fänden zudem gar keinen Platz in Projekten. Auch Firmenbesuche mit Schülern seien nur eingeschränkt möglich, und Referenten aus der Wirtschaft finde man – weil die Budgetmittel fehlen– kaum.

Die fünf Pädagoginnen bei Reiwag sehen ihr Kurzpraktikum als Chance für noch besseren Unterricht. Der „Einblick in andere Wirtschaftsbereiche“ helfe, die Schüler bei der Leitung der sogenannten Übungsfirma noch besser zu unterstützen, sagt Rechnungswesenlehrerin Maria Kitzinger.

Die Schüler müssten Zusammenhänge verstehen und kommunizieren, so das Fazit von Kollegin Maria Brenner. „Außerdem merke ich, dass nicht jedes kleine Detail, das die Schüler bei mir lernen, immer ganz so wichtig ist.“ Und, nicht zuletzt: „Die Geschichten, die ich den Schülern nach dieser Woche erzählen kann, bleiben besser hängen als jeder Lehrstoff“, sagt Juranek.

„Wirtschaft kommt oft zu kurz“

Auch die Firmen hoffen auf positive Effekte: Immerhin „bilden Lehrer die Führungskräfte der Zukunft aus“, sagt Reiwag-Geschäftsführer Thomas Dittrich. Bis heute bleibe das Thema Wirtschaftskompetenz in der Schule oft auf der Strecke, so die Kritik des WdF. Man müsse „gegenseitiges Verständnis schaffen“. Ob die Lehrerinnen nach den fünf Tagen gar über einen Wechsel in die Privatwirtschaft nachdenken? Eher nein, lautet der Tenor. Nachsatz: „Obwohl es schon reizvoll wäre.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2009)

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