Großbuchstaben für die wirklich großen Dinge

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Life müsste doch mit einem großen L geschrieben werden.

Mein Kollege spricht vom „goldenen“ Herbst, und wie er das sagt, mit einer kleinen Pause und mit gar nicht zu kleinem Zynismus, da hört man richtig die Anführungszeichen heraus, die man früher mit Zeige- und Mittelfinger in die Luft gezeichnet hat, damit auch jeder versteht, dass etwas hervorgehoben wird. Diese Luftzeichen macht übrigens kaum noch jemand, und auch Gänsefüßchen werden sie nicht mehr genannt.

„Bitte, was für Füßchen?“ fragt der Volksschüler entgeistert, dem man die Anführungszeichen näherbringen will. Erst später brennen sich die Satzzeichen so in das gewohnte Schriftbild ein, dass man sogar aus mehreren Metern Entfernung sagen kann, wenn sie fehlen. Wie Augenbrauen, hat einmal ein Lehrer gesagt, man schenkt ihnen recht wenig Aufmerksamkeit, wenn sie da sind, aber sobald sie fehlen, ist das ganze Gesicht verändert.

Auch wenn sie dasselbe wollen, können die Satzzeichen ja von Sprache zu Sprache verschieden aussehen. Im Englischen sind die Anführungszeichen etwa immer oben, aber einmal einfach (UK) und einmal doppelt (USA). Im Italienischen sind sie französisch (“„), in Island und Kroatien so wie bei uns. Online werden sie ohnehin freihändig vergeben, je nach Tagesverfassung und Nachtzeit. Irgendwann in einem erwachsenen Leben hat man sich dann mit sich auf eine individuelle Ausführung geeinigt; man wird ja schließlich nicht mehr benotet und ohnehin nicht immer verstanden.

Wie man indessen daran verzweifeln kann, wenn die eigene Sprache nicht die richtigen Großbuchstaben setzt, beschreibt Julian Barnes in seinem ersten Roman „Metroland“ (immer noch Pflichtlektüre für Heranwachsende). Life müsste doch mit einem großen L geschrieben werden, grübelt Christopher, der sich in den Suburbs von London mit Ängsten und Sehnsüchten und dem Erwachsenwerden an sich herumschlägt. Seine Lösung: Er schreibt Life einfach mit „capital L“. Genauso wie Truth und Nothing. Groß.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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