Kern und das Phantom des eisernen Sparens

Das Kaputtsparen treibe die Menschen in die Hände der Rechtspopulisten, meint der Bundeskanzler. Eine fragwürdige These.

Irgendwie ist es schon ein Jammer. Seit acht Jahren befindet sich Europa im Krisenmodus – und die Lage scheint immer schlimmer zu werden. Die Schuldenstände der Nationalstaaten steigen in atemberaubender Geschwindigkeit, während Millionen von Menschen ohne Job sind und der Traum von einem besseren Leben für viele ein unerfüllbarer wird. Und daran dürfte sich so schnell auch nichts ändern.

Warum das so ist, erklärten Bundeskanzler Christian Kern und der linke Star-Ökonom Joseph Stiglitz am vergangenen Montag zur Primetime im ORF. In aller Kürze: Es ist die Sparpolitik, die Europa immer näher an den Abgrund treibt.

Gemeint ist, dass Staaten in wirtschaftlichen Schwächephasen ihre Ausgaben kürzen, wodurch die ohnehin schwache Nachfrage weiter geschwächt wird. Das habe nicht nur ökonomische Folgen, sondern auch politische, wie der Bundeskanzler erklärt: „Wenn es den Parteien der gesellschaftlichen Mitte nicht gelingt, die Wirtschaft und die Beschäftigung zum Wachsen zu bringen, dann wird das zu einem Wachstum der rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa führen. Und das hat möglicherweise zerstörerische Wirkung für das gesamteuropäische Gebilde.“

Was ist mit Linkspopulisten?

Das ist eine bemerkenswerte These. Schon deshalb, weil Kern unerwähnt lässt, dass die Populisten von links mindestens so stark im Kommen sind wie jene von rechts. In Griechenland ist die extreme Linke an der Macht, in Portugal wird die Regierung von den Kommunisten gestützt, und in Spanien sind die Linkspopulisten drauf und dran, den Sozialisten den Rang abzulaufen.

Abgesehen davon sind die Rezepte der Populisten von rechts und links inzwischen kaum noch auseinanderzuhalten.

Bemerkenswert ist Kerns These aber vor allem deshalb, weil die Rechtspopulisten gerade in Österreich so stark im Vormarsch sind wie in kaum einem anderen Land. Jenem Österreich, das seit 1970 mit sieben Jahren Unterbrechung von der SPÖ geführt wird, die seit 2007 wieder an der Macht ist und seither all das umgesetzt hat, was Stiglitz und Kern als Rezept für Europa propagieren, um die Rechtspopulisten zu bremsen.

Die öffentlichen Ausgaben wurden seit Ausbruch der Krise kräftig nach oben gefahren, um die Konjunktur zu stützen. Seit 2007 steigen sie deutlich schneller als die allgemeinen Preise, allein die Mehrausgaben summieren sich seit der neuerlichen SPÖ-Machtübernahme auf 176 Milliarden Euro. Das ist mehr als die Hälfte der gesamten Staatsschulden.

Der Sozialstaat wurde mit der Mindestsicherung weiter ausgebaut, über 100 Milliarden Euro werden pro Jahr unter dem Titel Soziales ausgegeben, das sind 30 Prozent der Wirtschaftsleistung. Sparpolitik geht anders.

Hätten Stiglitz und Kern mit ihrer These recht, stellte sich die Frage, warum dann ausgerechnet in Österreich die FPÖ mit großem Vorsprung an der Spitze der Umfragen liegt und nicht die SPÖ. Aber vielleicht ist es ja so, dass das Nichtfunktionieren der eigenen Strategie einen Sündenbock braucht, dem noch schnell das Schild „Austerität“ umgehängt wird. Denn Österreich steht heute trotz seiner lehrbuchartigen Krisenbekämpfung mit Rekordarbeitslosigkeit, Rekordschulden und einem kaum noch vorhandenen Realwachstum da.

Während in fast allen EU-Ländern die Arbeitslosigkeit sinkt, steigt sie in Österreich. Geradezu alarmierend ist die wachsende Zahl Langzeitarbeitsloser.

Und wie ist es um die Austerität generell in Europa bestellt? In keinem einzigen EU-Land waren die öffentlichen Ausgaben in den vergangenen zehn Jahren rückläufig. In vier Ländern sind sie schwächer gewachsen als die allgemeinen Preise, also real gesunken. Konkret in Griechenland, Italien, Ungarn und Kroatien. In allen anderen EU-Staaten sind die öffentlichen Ausgaben schneller gestiegen als die Inflationsrate: Das ist per Definition das Gegenteil von Austerität.

„Ausgabenkaiser“ Österreich

Betrachtet man die vergangenen fünf Jahre, dann haben Griechenland, Irland, Zypern, Portugal, Spanien und Kroatien die öffentlichen Ausgaben auch in absoluten Zahlen zurückgefahren, also zweifelsfrei Sparpolitik betrieben.

Regieren in diesen Ländern heute die Rechtspopulisten? Sind diese Länder in der Rezession? Keineswegs, Griechenland ist das einzige der erwähnten Länder, dessen Wirtschaftsleistung heuer schrumpfen soll. Den anderen Sparländern wird ein höheres Realwachstum in Aussicht gestellt als dem „Ausgabenkaiser“ Österreich, im Fall Portugals ein gleich hohes. Wie es scheint, hat der Aufstieg der Populisten andere Gründe, vor allem in Österreich. Vielleicht wäre es für Kanzler Kern ja eine Option, den Bürgern andere Lösungen anzubieten als die Abkehr von einer nicht vorhandenen Sparpolitik und die Zuwendung zu noch höheren Staatsausgaben und schneller wachsenden Schuldenbergen.

Regierung ignoriert Probleme

Möglicherweise fürchten viele Menschen in diesem Land deshalb um ihren Wohlstand, weil der Staat die öffentlichen Ausgaben nicht in den Griff bekommt und die Regierung für jedermann sichtbare Probleme ignoriert, statt sie zu lösen. Dieses Ignorieren von Problemstellen könnte der zentrale Grund dafür sein, dass die Unternehmen ihre Investitionen zurückhalten und die Stimmung im Land entsprechend schlecht ist.

Vielleicht wäre es für Bundeskanzler Kern eine weitere Option, den Menschen in diesem Land zu sagen, dass der Staat mit der enorm hohen Steuerbelastung das Auslangen findet und die öffentlichen Ausgaben mit 52 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung hoch genug sind, um damit einen funktionstüchtigen Wohlfahrtsstaat zu finanzieren. Weshalb die Regierung nun endlich damit beginnen werde, den öffentlichen Sektor in Ordnung zu bringen, statt nur davon zu reden.

Das hat Kern in seiner fulminanten Antrittsrede auch angekündigt – nun ist die Zeit zu liefern.

So wäre es keine blöde Idee, die steigende Lebenszeit für spätere (Früh-)Pensionierungen zu nutzen. Oder den Kindern die talentiertesten Lehrer zur Verfügung zu stellen und mehr Geld in Brennpunktschulen zu geben, statt mit der Gießkanne durch das Land zu spazieren. Nicht verkehrt wäre auch, den Bundesländern entweder mehr Steuerverantwortung abzuverlangen oder mehr Kompetenzen nach Wien zu verlagern.

Bereitschaft zum Risiko

Und kein allzu grober Schnitzer wäre es, die antiquierte Gewerbereform und die verstaubte Arbeitszeitregulierung im Paarlauf zu liberalisieren, um für mehr unternehmerische Dynamik zu sorgen.

Österreich braucht eine politische Führung, die bereit ist, das Richtige zu tun, und die auch das Risiko auf sich nimmt, dafür abgewählt zu werden. Eine Regierung, die Probleme erkennt und diese auch zu lösen bereit ist – anstatt jene zu thematisieren, die keine sind. Denn damit hat bisher noch kein Land aus dem konjunkturellen Jammertal gefunden.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Franz Schellhorn (* 1969 in Salzburg) studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ab 1997 Wirtschaftsredakteur der „Presse“, 2004–2013 Leiter des Wirtschaftsressorts, 2011–2013 stellvertretender Chefredakteur. 2009 wurde er mit dem Horst-Knapp-Preis ausgezeichnet. Seit 2013 Direktor der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria. [ Archiv]

(Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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