Bunt "unpassend": KZ Mauthausen wurde übermalt

(c) Gedenkstätte KZ Mauthausen
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Nach der Befreiung wurde das KZ Mauthausen stark verändert: Große Teile wurden abgerissen, manches wurde rekonstruiert. Historiker erforschen nun, was original ist und was spätere Umbauten sind.

Am 31. Mai 1941 gab Heinrich Himmler den Befehl, in Konzentrationslagern Häftlingsbordelle einzurichten. Damit sollte vor allem ein Leistungsanreiz für die Häftlinge gesetzt werden: Die Erlaubnis zum Besuch („Sprungkarte“) bekamen nur privilegierte oder besonders „tüchtige“ Häftlinge, anfangs vor allem österreichische oder deutsche Funktionshäftlinge, später auch Häftlinge anderer Nationen, niemals aber Russen und Juden.

Das erste Häftlingsbordell überhaupt wurde im Juni 1942 im KZ Mauthausen eingerichtet. In die Holzhülle von Baracke 1 zog man Ziegelwände ein. Auf der linken Seite des Ganges befanden sich fünf Schlafräume für die Zwangsprostituierten und ein Waschraum, auf der rechten Seite die zehn „Arbeitsräume“. Durch kleine Schlitze in den Türen konnten die Aufseher kontrollieren, ob Sex wohl nur in liegender Position erfolgte – alles andere war verboten.

Besuchern präsentieren sich diese Räume heute in einem einheitlichen Gelbton. Das war nicht immer so, hat der Bauforscher Paul Mitchell nun herausgefunden: „Die Räume waren bunt ausgemalt“, berichtete er Anfang dieser Woche bei der Konferenz „Disturbing Remains. Der Umgang mit den materiellen Überresten des Nationalsozialismus“. Organisiert wurde sie von der KZ Gedenkstätte Mauthausen, der Kulturhauptstadt Linz 2009 und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (im Rahmen des vom Wissenschaftsministerium geförderten ForMuse-Programms).


Großteil wurde abgerissen. Die Einrichtungsgegenstände, auch die Waschbecken und Heizkörper, die es in jedem Zimmer gab, fehlen heute größtenteils. Unter dem ockergelben Farbanstrich hat Mitchell aber ältere Farbschichten gefunden: in Rot, Rosa, Orange, Blau und Weiß. „In einer Höhe von 1,30 Metern gab es einen kräftigen Farbstrich, die Bemalung darüber und darunter war unterschiedlich“, so Mitchell. Die Schlafräume der Sex-Zwangsarbeiterinnen – diese wurden im Frauen-KZ Ravensbrück „rekrutiert“ – wiesen ein etwas weniger buntes Farbschema auf. An den Decken hat der Bauforscher auch Reste von hübschen Mustern gefunden, um die ehemaligen Waschbecken herum Anstriche aus wasserfesten Farben. Selbst im Waschraum, wo bis heute die großen Waschbecken stehen und die Abflüsse der Toiletten erhalten sind, gab es eine zweifarbige Bemalung. „Nach dem Krieg wurde das als unpassend empfunden, diese Farbgebung war nicht mehr erwünscht, alles wurde in Gelb übermalt“, erläutert Mitchell.

Das Häftlingsbordell ist freilich nur ein Beispiel, wie das ehemalige Konzentrationslager nach der Befreiung durch US-Truppen im Mai 1945 umgestaltet wurde. Für Häftlingsorganisationen und Opferverbände, die sich – gegen große Widerstände aus Politik und Gesellschaft – für die Erhaltung des ehemaligen KZ als Gedenkstätte stark machten, war vor allem der „Leidensort“ wichtig, erläutert der Wiener Zeithistoriker Bertrand Perz.

Der vollständige Erhalt des gesamten KZ war damals nicht erwünscht – auch nicht von den amerikanischen Befreiern und den sowjetischen Besatzern. „Alles, was nicht als besonders geschichtswürdig angesehen wurde, hat man systematisch entfernt“, erzählt Perz. So auch alle SS-Baracken und die Lagerteile außerhalb der Mauern. 1948 wurde immerhin der Innenbereich des KZ unter Denkmalschutz gestellt. Um die Erhaltungskosten zu reduzieren und Geld für den Aufbau der Gedenkstätte zu lukrieren, wurde aber auch dort ein großer Teil der Baracken abgebrochen und verkauft.

Der Umgang mit dem „Originalen“ ist in Mauthausen ein besonderes Problem: In kaum einem anderen ehemaligen KZ sind – trotz der Abrisse – derart viele originale Bauwerke aus der NS-Zeit erhalten. „Das suggeriert einen authentischen, unmittelbaren Zugang zur NS-Geschichte“, sagt Perz. Allerdings stammen die heute sichtbaren Überreste keineswegs auch alle aus der NS-Zeit. Mit der Einrichtung der Gedenkräume (1949) und der Ausstellung (1970) wurden viele Dinge umgebaut. So wurden etwa die Wände des Krankenreviers entlang des Appellplatzes verputzt. Die meisten Umbauten betrafen die Innenräume der Objekte. „Den ehemaligen Häftlingen ging es nur darum, eine würdige Gedenkstätte einzurichten. Ob etwas original oder eine Rekonstruktion ist, war da kein Thema“, sagt der Historiker. So ist etwa bekannt, dass heruntergefallene Fliesen im „Sezierraum“ nach dem Krieg einfach wieder angeklebt bzw. durch neue ergänzt wurden.


Das Holz ist jünger. Über die meisten anderen Umbauten und Rekonstruktionen weiß man nur sehr wenig. „In Mauthausen tritt man mit der Geschichte durch den Umbau der 70er-Jahre in Kontakt“, sagt Heidemarie Uhl, Forscherin an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Also muss nun die Bauforschung aushelfen: Mitchell hat seine Arbeit im Vorjahr begonnen und will sie 2010 abschließen. Erforscht sind bereits das Bordell und die erhaltenen Häftlingsbaracken. Derzeit arbeitet er an den Tötungsanlagen, ausstehend sind noch das jetzige Museum, der Gefängnistrakt, die Wäscherei und die Küche. Mitchell hat bereits unzählige neue Details herausgefunden. So besteht die Baracke 11, die eigentlich schon 1938/39 errichtet wurde, zum Großteil aus Holz, das laut Jahresring-Analyse zwischen 1940 und 1943 geschlägert wurde. „Das heißt, dass diese Baracke großteils nach dem Krieg wiedererrichtet wurde“, so Mitchell.

Besonders brisant ist die Unterscheidung „Original“ und „Rekonstruktion“ bei den Tötungseinrichtungen. „Diese Räume sind der Kern der Schwierigkeit von Mauthausen: Man wollte glaubhaft machen, was eigentlich unglaublich ist, was weit über jegliche Glaubhaftigkeit hinausgeht“, sagt Yariv Lapid, Mitarbeiter der Gedenkstätte Mauthausen. Die technischen Einrichtungen der Gaskammer – deren Existenz und Benutzung in den großen Prozessen nach dem Krieg nie bestritten wurden – haben die Nazis in den letzten April- und ersten Maitagen 1945 größtenteils abgebrochen. „Nach dem Krieg wollte man die Stätte aber herzeigen, um die Vorgänge zu erklären“, so Mitchell. Also wurde einiges rekonstruiert. Ein bekanntes Beispiel sind die gasdichten Türen der Gaskammer: Die originalen Gastüren waren, wie man heute weiß, höher, dünner und aus Holz. Sie wurden von der SS zerstört und nach dem Krieg durch Türen ersetzt, die zwar aus der NS-Zeit stammen, aber woanders herkommen.

Die Rekonstruktion und Umgestaltung des Areals war stets den Erfordernissen und Interessen der jeweiligen Zeit angepasst. Perz: „Die Asphaltierung des Appellplatzes wurde in den 1980er-Jahren ohne öffentliche Diskussion durchgeführt. Das wäre heute unmöglich.“ Andererseits, so Uhl: „Würde man das Original rekonstruieren, wären die Leute irritiert und würden sagen: Was ist denn da geschehen?“ Aus demselben Grund könne man auch die Blumenbeete, die es im KZ gab – die SS wollte, dass es im Lager „ordentlich“ aussieht –, nicht wiederherstellen.

Die Ergebnisse der Bauforschung sind ein wesentlicher Input für die derzeit laufende Restaurierung durch das Wirtschaftsministerium (Kostenpunkt: knapp sechs Millionen Euro) sowie für die Neugestaltung der Ausstellung bis 2012 (siehe Artikel unten). Erst wenn man etwas über die Geschichte eines Baukörpers weiß, könne man über etwaige Eingriffe entscheiden, sagt Perz. „Mit einer Wand aus den 70er-Jahren kann man anders umgehen als mit einer Mauer aus der NS-Zeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2009)

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