Sei nicht wie Pippi, sei wie Annika

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Eine Pippi kann es nur geben, weil Annikas dafür sorgen, dass alles funktioniert. Eine Ehrenrettung.

Es ist eine recht sichere Position, auf die man sich zurückziehen kann, wenn man auf schnellen Applaus aus ist: „Sei Pippi, nicht Annika!“ Auf den ersten Blick ist man ja wirklich geneigt, den Kopf in zustimmende Nickbewegungen zu versetzen. Doch wie bei vielen Slogans, die auf den ersten Blick unglaublich gut klingen, lohnt sich ein bisschen Reflexion. Vordergründig ist natürlich gemeint: „Sei nicht so angepasst, geh aus dir heraus!“ Nicht so wie die brave Annika, die ein wenig schüchtern ist, und die darauf achtet, dass ihr Kleid nicht schmutzig wird. Sondern wie Pippi Langstrumpf, das freche Mädchen, das einen etwas, sagen wir, verrückten Lebensstil pflegt, laut ist, sich nicht an Regeln hält und sich über vermeintliche Autoritäten hinwegsetzt. Auf den zweiten Blick wird aber auch klar, dass hier ein Persönlichkeitsbild propagiert wird, das einfach nicht auf jeden passt.

Da wird geradezu so getan, als sei ein extrovertiertes Wesen das Maß aller Dinge. Als führten die nachdenklichen, ruhigen Charaktere aus Feigheit vor dem Tabubruch ein Leben zweiter Klasse. Es ist nichts Schlimmes dabei, introvertiert zu sein. Es gibt nun auch einmal Menschen, die ihre Kraft nicht aus dem ständigen Umgang mit anderen ziehen, sondern im Stillen aufblühen. Auch das ist Lebensqualität, wenn man sich dabei wohlfühlt. Abgesehen davon, wäre die Welt voller Pippis, könnte nie ein Gemeinwesen entstehen. Weil zum Zusammenleben auch Zurückhaltung gehört, der Blick auf das Wohl der anderen. Mit ständigem Regelbruch oder Verweigerung ist das nicht möglich. Ohnehin kann es Pippis nur dann geben, wenn genügend Annikas den Laden inzwischen am Laufen halten. Damit kein Missverständnis entsteht – wir brauchen Pippis. Ohne sie wäre die Welt nicht komplett. Aber wir brauchen auch Annikas. Lassen wir uns die nicht schlechtreden. In diesem Sinne: Sei Pippi. Oder sei Annika. Beides ist richtig.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2016)

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