Franz Jonas meets Frank Lloyd Wright – in Floridsdorf

Lamellenhaare in der Fassadenstirn: Interspar, Floridsdorf.
Lamellenhaare in der Fassadenstirn: Interspar, Floridsdorf.(c) Wolfgang Freitag
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Dass der Franz-Jonas-Platz nicht zu den attraktivsten Plätzen Wiens zu zählen ist, darüber wird sich rasch Einigkeit erzielen lassen.

Das allzu vielstimmige Irgendwer-hat-irgendwas-irgendwann-da-Hingebaut, das sich vor dem Floridsdorfer Schnellbahnhof ausbreitet, fand über Jahrzehnte seinen sinnfälligsten Ausdruck in einer nordwestseitig gelegenen Kaufhauskubatur, die mit ihrem schräg vor die Fassade gesetzten Gitterrost ein gewisses Bedauern über die eigene Existenz zu artikulieren schien: als sei sie drauf und dran, vor Scham in Floridsdorfer Grund und Boden zu versinken.

Immerhin, als Verdienst ist ihr durchaus anzurechnen, dass sich, von ihr geschützt, an der Wand des Nachbarhauses die aufgemalte Werbung einer ehrwürdigen, mittlerweile längst via Konkurs entschlafenen Wurstfabrik erhalten hat, die in schönster Sechzigerjahre-Pracht sichtbar wurde, als man vergangenes Jahr dem Kaufhaus-Elend via Abriss ein Ende setzte.

Von dem historischen Reklamekleinod ist mittlerweile nichts mehr zu sehen, und auch die Scham scheint nicht mehr comme il faut. An die Stelle des alten Kaufhausgebäudes ist ein neues getreten, das sich erst gar nicht mit nebensächlichen Gedanken rund um Schönheit oder Eleganz aufhält, dafür umso selbstbewusster den Stadtraum dominiert. Weit klafft erdgeschoßig ein großes Garagenmaul auf, tief hängen ockergoldbräunliche Lamellenhaare in die Fassadenstirn, und mögen solche Anklänge an das Erscheinungsbild des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten noch Zufall sein: Der Donaldtrumpismus unserer Tage ist auch sonst nicht fern. Im Inneren habe man sich an Frank Lloyd Wrights „Guggenheim in New York orientiert“, erläutert ein Vertreter des eingemieteten Handelsriesen, und dass ihm ein so kühnes Korrelat so flüssig über die Lippen kommt, weist ihn als Angehörigen einer Generation aus, der nichts mehr peinlich und Präsenz alles ist. Frank Lloyd Wright meets Franz Jonas, und das mitten in Floridsdorf: Richtig, wir leben ja in postfaktischen Zeiten.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2016)

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