Ein beispielloses Dopingsystem

VARIOUS SPORTS - WADA press conference
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Die Vorwürfe für flächendeckendes Staatsdoping in Russland erhärten sich, Wada-Ermittler Richard McLaren präsentierte zweiten Report – über 1000 Athleten waren Teil der Betrugspolitik.

London. Russland steht nach neuen Dopingenthüllungen mehr denn je am Pranger. Laut Recherche der Weltantidopingagentur (Wada) waren von 2011 bis 2015 mehr als 1000 russische Sportler Teil der staatlichen, flächendeckenden Dopingpolitik. Dies teilte Chefermittler Richard McLaren bei der Vorstellung seines zweiten Berichts am Freitag in London mit. Seine Erklärungen schrecken weiter auf, vor allem bringen sie nun weltweit Fachverbände, allen voran das Internationale Olympische Komitee (IOC), in Zugzwang. An der Russland-Krise gibt es nun endgültig kein Vorbeikommen mehr.

Hunderte Spitzenathleten sollen demnach entweder selbst gedopt oder von „der systematischen und zentralisierten Vertuschung und Manipulation des Dopingkontrollprozesses profitiert“ haben. McLaren stellte bei seinen Recherchen – sein zweiter Bericht ist online frei zugänglich und umfasst 90 Seiten – „eine institutionalisierte Strategie zur Medaillenbeschaffung“ fest. Betroffen seien 30 Sommer- und Wintersportarten, dies sei „durch Fakten beweisbar“.

Daten, Mails, Beweise

Sportler hätten mit russischen Offiziellen im Sportministerium und Behörden wie der Nationalen Anti-Doping-Agentur, Moskaus Kontrolllabor und dem Geheimdienst FSB gemeinsame Sache gemacht, um Dopingtests zu manipulieren. Es seien Beweise dafür gefunden worden, dass Dopingproben von zwölf Medaillengewinnern der Winterspiele in Sotschi 2014 manipuliert wurden. Dabei handle es sich in vier Fällen um Gewinner von Goldmedaillen. Der Bericht untermauerte, dass Doping in Russland „in beispiellosem Umfang“ stattgefunden habe. „Das russische Team hat die Spiele von London in einer Weise korrumpiert, die nie dagewesen ist. Das ganze Ausmaß dessen wird wohl nie bekannt werden“, so McLaren.

Die ersten Reaktionen aus Russland ließen nicht lange auf sich warten. Der Parlamentsabgeordnete Michail Degtjarjow sagt: „Irgendwelche 1000 Sportler, wo sind Beweise und Zeugen?“, meinte der Chef des Sportausschusses in der Staatsduma. „Außer Hinweisen auf Zeitungsartikel gibt es dort keine Beweise.“

Die Ermittler haben nach eigenen Angaben Interviews mit Zeugen sowie Datensätze, E-Mails und über 4000 Excel-Dokumente ausgewertet. Ob diese Erkenntnisse nur die Spitze des Eisbergs sind? „Das Bild ist noch nicht komplett. Wir hatten nur Zugriff auf einen kleinen Teil der Daten und des Beweismaterials, das möglicherweise existiert“, sagte McLaren.

Im ersten, am 18. Juli veröffentlichten Bericht hatte McLaren Belege dafür gefunden, dass es eine Verwicklung des russischen Geheimdienstes bei der Vertuschung von Dopingfällen in Sotschi 2014 gegeben habe. Damals hatte der Kanadier nur 57 Tage für die Untersuchung Zeit – diesmal länger. Im Juli hatte er mitgeteilt, dass von 2012 bis 2015 650 positive Proben in rund 30 Sportarten verschwunden seien. Nun steht für ihn fest, dass massiver manipuliert worden sein muss. Betroffen seien London 2012 und Sotschi 2014, Universiade 2013, die Leichtathletik-WM 2013.

20 Medaillengewinner entlarvt

Als der erste Report drei Wochen vor Beginn der Rio-Spiele auf dem Tisch lag, wälzte das IOC die Verantwortung noch auf die Sportverbände ab. Aber lediglich der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) sprach eine Kollektivsperre aus.

Auch die Ergebnisse der bisherigen Nachtests der Spiele von 2008 und 2012 haben Signalwirkung: Russland stellt den mit Abstand höchsten Anteil der allein heuer durch nachträgliche Kontrollen überführten Betrüger. Ein Drittel der bisher registrierten 101 positiven Fälle sind Russen, davon 20 Medaillengewinner. Dem Großteil wurde mit verfeinerten Analysemethoden Anabolika nachgewiesen, die unter Mithilfe des russischen Whistlerblowers Grigori Rodschenkow entwickelt worden sein sollen. Rodschenkow war als früherer Leiter des Moskauer Wada-Labors in die Vertuschungen involviert gewesen. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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