Claudia Bosse: Wachmacher

Claudia Bosse
Claudia Bosse(c) Julia Stix
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Regisseurin Claudia Bosse inszeniert die ultimative Tragödie in der ehemaligen Ankerbrotfabrik und bekommt einen Nestroy.

TIPPS

Noch mehr „off“ kann „Off-Theater“ eigentlich nicht sein. Claudia Bosse hat mit ihrem Theatercombinat schon U-BahnPassagen, Remisen und den Schwarzenbergplatz bespielt. Sie hat Mühlviertler dazu gebracht, sieben Tage und Nächte aus der Bibel vorzulesen und 100 Leute zu einer Stepp-aktion auf dem Wiener Maria-Theresien-Platz zusammengeführt. So ein ganz normales Theater mit Bühne, Vorhang, Zuschauerraum, das interessiert die deutsche Regisseurin herzlich wenig. Und so wird auch die nächs-te Inszenierung an einem unüblichen Ort stattfinden, und zwar in der ehemaligen Ankerbrotfabrik. 

„Das ist eine einmalige Dimension“, sagt Bosse über die mehr als 2000 m² große, einst größte stützenlose Industriehalle Europas. Noch einmaliger wird sie freilich, wenn sie ganz in Weiß erstrahlt, selbst der Boden leuchtet kalt. Das subtil Unangenehme passt, zeigt Bosse doch „desaster zone“. Da verschmilzt sie fünf Stücke zu einer Art ultimativer zeitgenössischer Tragödie. Die fünf Stücke – „Die Perser“ von Aischylos, „Coriolan“ von Shakespeare, „Phèdre“ von Racine, „Bambiland“ von Elfriede Jelinek und als i-Tüpfelchen „Bambi“ von Felix Salten – wurden alle vom Theatercombinat schon bearbeitet.

„Bambi“ als Einziges als Film – Menschen in Rehkostümen auf der Ringstraße, führt das nicht zu verwirrten Reaktionen? „Ja natürlich, erst kommt das daher wie ein Faschingswitz, aber wenn die Rehe Gesellschaftskritisches von sich geben, dann bringt das deutliche Irritationen.“ Aber das ist ja auch, womit Claudia Bosse arbeitet. Der Zuschauer spielt eine wichtige Rolle: „Es ist nicht so, dass man etwas zeigt, und das ist es dann. Der Zuschauer ist der Ort, wo das Theater erst Theater wird.“

Widerstand ist gut. Und dann gibt es noch dieses kuriose Mittelding zwischen Zuschauer und professionellem Schauspieler: Auch mit Laien arbeitet Bosse gerne. Ob das nun Bürger sind, die zu Vorlesern werden oder zu einem 300-köpfigen Chor bei „Die Perser“, Bosse geht es nicht darum, „drollige Laien auf die Bühne zu stellen. So kann Theater eine andere Kraft entwickeln.“

Kraft, die braucht man wohl auch, will man ein Projekt auf die Beine stellen, wie es Bosse mit „Bambiland“ heuer gelungen ist. Jelineks Text beschallte da – über Lautsprecher auf Trolleys – Schwarzenbergplatz, Donaukanal und andere Orte. „Wenn man bildende Kunst im öffenlichen Raum macht, ist ja so gut wie alles möglich. Aber sobald es um etwas Akustisches geht . . . Da wäre es leichter, ein Haus abzureißen, als Literatur vorzutragen. Noch dazu von Jelinek, da hat man alle Aggressionen auf seiner Seite.“ Obwohl, ganz ohne Widerstände würde es Bosse auch nicht freuen: „Konkrete Zwänge geben wieder Material für die Arbeit, die machen wach dafür, in welchem Umfeld man sich bewegt.“

Dass sich Claudia Bosse für die Off-Szene entscheiden wird, war aber nicht von Anfang an klar. Ihr Regiediplom hat sie an der Ernst-Busch-Schule in Berlin gemacht: „Da wird der Institutionsnachschub hervorgebracht, viele Kollegen leiten jetzt auch große Häuser“, sagt die 40-Jährige. Doch in der Schweiz, in der die freie Szene viel selbstverständlicher agiert, weil es keine Ensembles gibt, kam Bosse auf den Geschmack. Auch so mancher Tiefpunkt tat das Übrige: „Wenn man in einem Stadttheater landet und der Animationsclown für frustrierte Schauspieler ist, dann ist das sehr unbefriedigend.“ Schließlich traf Bosse einen „klugen Menschen“, der ihr sagte: „Entweder du machst dich dem Theater passend  oder du machst das Theater dir passend.“

Interessant findet Bosse jedenfalls, dass Matthias Hartmann nun das Burgtheater für Gruppen wie Jan Lauwers‘ Needcompany öffnet: „Da gibt es doch eine gewisse Impulsnot. Ich denke, wenn beseelte Menschen, die eine Haltung verfolgen, solche Häuser leiten würden, wären sicher auch tolle Dinge möglich. Aber es ist vielleicht auch die Frage, warum nicht so wahnsinnig viele solche Menschen in diese Positionen kommen . . .“

Für „Bambiland“ erhält Bosse den Nestroy-Preis für die beste Off-Produktion. Auch wenn sie das erst für einen Scherz gehalten hat, freut sie sich natürlich. Obwohl es ihr lieber gewesen wäre, wenn die Verleihung nicht ausgerechnet zwei Tage vor ihrer Premiere wäre  . . .


Ein bisschen Prenzlauer Berg in Favoriten: Vier Jahre standen Bauten der denkmalgeschützten Ankerbrotfabrik leer, jetzt hat sich die Kunst das Areal angeeignet. Das Theatercombinat von Claudia Bosse hat bereits mehrere Aufführungen dort gemacht, die "desaster zone" hat nun am 14. 10. Premiere.

Im Sommer feierte das Sirene Operntheater mit einer Vertonung von Leo Perutz‘ „Nachts unter der steinernen Brücke“ ein Festival. Lofts für Künstler sollen in der ehemaligen Fabrik entstehen, Hans Staudacher ist schon eingezogen. Aber nicht nur produziert, auch ausgestellt wird: Bereits im April hat sich die Off-Szene zur „UnORTnung“-Schau zusammengetan. Und am 9. 10. eröffnet Ernst Hilger seine "Brotkunsthalle" mit einer Ausstellung zeitgenössischer iranischer Kunst.

www.theatercombinat.com
www.brotkunsthalle.com

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