„Der Coup der tadellosen Männer“ nimmt kein Ende

Die Fotos vom Mord am russischen Botschafter in einer Kunstgalerie in Ankara fügen sich beunruhigend in einen klassischen Bilderkanon ein.

Haben Sie diese Bilder auch noch im Kopf? Diese so verstörend sterilen, so gestellt wirkenden Fotos von der Ermordung des russischen Botschafters in einer Fotogalerie in Ankara am Montag? Es sind die seltsamsten, unwirklichsten Bilder des Terrors, die man bisher gesehen hat. Dieser blasse junge Mann im schwarzen Anzug, in der einen Hand lässig die Pistole, die andere Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger erhoben, den Mund geöffnet, vielleicht gerade „Allahu Akbar“ schreiend. Neben ihm liegt auf dem glänzenden Boden der Galerie die Leiche des Botschafters. Keine Spur von Blut. Keine Spur von Tumult. Keine anderen Menschen. Im Hintergrund nur Landschaftsfotos „Von Kaliningrad bis Kamchatka, aus der Sicht von Reisenden“ an den weißen Wänden.

Doch das hier war keine Theaterprobe oder ein Filmset. Es waren keine Schauspieler. Es gab kein Drehbuch. Die Situation war echt. Und der Associated-Press-Fotograf Burhan Ozbilici hat sie aus nächster Nähe fotografiert, purer Zufall, er schaute bei der Ausstellungseröffnung nur vorbei, weil sie auf dem Nachhauseweg lag.

Burhan Ozbilici fotografierte den Attentäter
Burhan Ozbilici fotografierte den Attentäter(c) REUTERS (HANDOUT)

Hinter einer Wand versteckt, machte er dann wohl die Pressefotos des Jahres, den Mörder direkt, auf Augenhöhe anvisierend, als dieser weiter agitierend um die Leiche tigerte, Fotos an den Wänden zerstörte, die Leute im Bann hielt, die Ozbilici in einem extra Foto festhielt, zusammengekauert ebenfalls wie inszeniert in einer Ecke.

„Schmerzhaft schön“, fand auch US-Kunstkritiker Jerry Saltz diese formal so mächtigen Fotos, die ihn an klassische Historienbilder etwa von Jacques-Louis David erinnern. Erinnern können sie einen auch an die Fotos der Grazer Künstlergruppe G.R.A.M., die sich seit Jahren darauf spezialisiert hat, Pathosposen in Presse- und Politikerfotos, die wir mit Tragödien, Heldentum, Repräsentation assoziieren, zu analysieren und zu verdeutlichen, indem sie sie selbst nachstellen. Es ist ein Zufall, dass G.R.A.M. gerade jetzt, noch bis morgen, 23. Dezember, eine Ausstellung dieser Reinszenierungen in der Wiener Galerie Christine König haben. „Der Coup der tadellosen Männer“ heißt sie und bezieht sich auf die Bildunterschrift eines Pressefotos in einer türkischen Zeitung nach dem Putschversuch in der Türkei diesen Juli, auf dem die „Schuldigen“ der Öffentlichkeit präsentiert wurden, hohe Militärs, neben- und hintereinander aufgefädelt, misshandelt, in Zivilkleidung, mit trotzigen Blicken. Günther Holler-Schuster, Ronald Walter, Armin Ranner, Martin Behr u. a. sind in ihre Rollen geschlüpft. Nächstes Jahr werden sie vielleicht in die Rollen des Mörders von Ankara und dessen Opfer schlüpfen. Was fast eine Umkehr ihres aufklärerischen Kunstwollens wäre. Denn „künstlicher“ kann man diese irreale Szene gar nicht machen.

almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2016)

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