Eine Verbeugung vor den Helden der Demokratie

Die Briefwahl: Wenn die Ausnahme zur Regel wird.

Die Zeiten, da man sich seinen schönsten Anzug anzog, um an einem dieser „Festtage der Demokratie“ ins Wahllokal wählen zu gehen, sind ohnehin vorbei. Und das ist eigentlich schade. Denn das war gewissermaßen auch eine Respektserweisung an jene, die für die Errichtung der Demokratie gestorben sind, eingesperrt und verfolgt wurden.

Das Wahlrecht ist nicht selbstverständlich. Es musste erkämpft werden. Die Mühe – sofern es überhaupt eine ist –, höchstpersönlich im Wahllokal zu erscheinen, wenn man dazu gesundheitlich in der Lage ist und im Inland weilt, ist auch eine Verbeugung vor jenen, die vieles dafür gegeben hätten, wählen zu können.

Heute kann man im Jogginganzug vom Sofa aus bequem per Brief wählen. Möglicherweise auch bald per Computer. Das sei eben der Zug der Zeit, heißt es. So wie man ja auch nicht mehr in ein Geschäft gehen müsse, um etwas zu kaufen. Es steigere die Wahlbeteiligung. Und in der Schweiz sei das schon gang und gäbe.

Das trifft auch alles zu. Doch abgesehen von der Frage, wie sehr das Wahlgeheimnis in den eigenen vier Wänden wirklich gesichert ist – es soll ja auch noch Familien mit patriarchaleren Strukturen geben –, bleibt ein gewisses Unbehagen, dass die Ausnahme zur Regel gemacht wird.
Denn das Ritual des Wählens im Wahllokal war und ist eben ein noch bewussterer Akt der Identifikation mit der Republik.

oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)

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