Ungarn: Konservative wetzen die Messer

(c) EPA (Martin Schutt)
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Nach Regierungswechsel sollen sozialistische Politiker juristisch verfolgt werden. Der Versuch, den politischen Gegner rechtlich zu belangen, ist kein Novum in Ungarn.

Budapest.Die Parlamentswahl ist zwar erst im Frühjahr, doch Ungarns Oppositionschef Viktor Orbán und seine Konservativen wetzen für den Fall des erwarteten Sieges bereits die Messer: Dann soll es vielen Sozialisten an den Kragen gehen.

Seit einiger Zeit sind in Bezug auf die noch regierenden Sozialisten die Begriffe „Bestrafung“ und „rechtliche Belangung“ geflügelte Worte im Lager von Orbáns Partei Fidesz. Dort herrscht nämlich die Meinung, die Sozialisten hätten gehörig Dreck am Stecken. Die Vorwürfe reichen von Bereicherung und Korruption über die maßlose Verschwendung öffentlicher Gelder bis hin zum Befehl polizeilicher Übergriffe.

Vor wenigen Tagen hat Orbán mit Exjustizminister István Balsai einen „Direktor für Rechtsfragen“ in seinen Stab berufen. Dieser hat auch die Aufgabe, für die rechtliche Verfolgung vieler sozialistischer Politiker den Boden zu bereiten. Laut Balsai haben die Sozialisten nicht bloß Leichen, sondern „Leichenberge“ in ihrem Keller. Der beste Beweis seien die rund zwei Dutzend Politiker, gegen die strafrechtliche Verfahren anhängig sind, sagt Balsai.

Er schloss nicht aus, dass sogar Exregierungschefs zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Damit spielte er unmissverständlich auf den 2004 bis 2009 regierenden Ferenc Gyurcsány an. Balsai sprach von zwei „gravierenden Rechtsverletzungen“, die in die Amtszeit Gyurcsánys fallen.

40 Mio. in den Sand gesetzt

Zum einen erinnerte er an die rohe Polizeigewalt gegen Demonstranten am Nationalfeiertag 2006, zu der Gyurcsány persönlich den Befehl gegeben habe. Zum anderen wies er auf die Aufnahme eines Stand-by-Kredits hin, der Ungarn im Oktober 2008 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gewährt wurde. Die Regierung habe hier das Parlament umgangen.

Überdies sprach der Fidesz-Politiker den vor Jahren geplanten Bau eines neuen gigantischen Regierungsviertels an. Der war von der Regierung Gyurcsány aus Kostengründen letztlich abgeblasen worden, laut Balsai seien aber mehr als 40 Mio. Euro Steuergelder in den Sand gesetzt worden.

Sozialisten-Sprecher István Nyakó sprach von einem beispiellosen politischen Vergeltungsfeldzug; auch auf Regional- und Lokalebene sei Fidesz-Terror gegen sozialistische Politiker zu erwarten.

Der Versuch, den politischen Gegner rechtlich zu belangen, ist kein Novum in Ungarn. Nach der Abwahl des Fidesz im Jahr 2002 installierte die neue sozialistische Regierung unter dem damaligen Premier Péter Medgyessy eigens einen Staatssekretär, um angebliche Machenschaften der Fidesz-Regierung aufzudecken. Mangels stichhaltiger Beweise blieb dies letztlich aber ergebnislos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2009)

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