Leben unter dem Rettungsschirm

Ruhe vor dem Sturm? 2017 wird für Griechenlands weitere Entwicklung ein Schlüsseljahr.-PROTEST
Ruhe vor dem Sturm? 2017 wird für Griechenlands weitere Entwicklung ein Schlüsseljahr.-PROTESTAPA/AFP/ANGELOS TZORTZINIS
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Nach einem minimalen Wachstum 2016 will Athen im neuen Jahr zurück auf die Finanzmärkte. Ob das Experiment gelingt, hängt vor allem von der Politik ab.

Athen. Griechenland geht mit offenen Bilanzbüchern in das Jahr 2017. Das ist wörtlich zu nehmen, und Ursache ist ein Weihnachtsgeschenk von Ministerpräsident Alexis Tsipras an die Pensionisten in Höhe von 617 Millionen Euro. Die Gläubiger waren überrascht und reagierten zornig. Griechenlands Finanzminister, Euklid Tsakalotos, musste schriftlich versichern, dass die Maßnahme eine einmalige Angelegenheit bleibt und keinen Einfluss auf die gemeinsam vereinbarten Budgetziele hat. Anfang Jänner wird nochmals über die Bücher gegangen – erst dann werden die Anfang Dezember vereinbarten Schuldenerleichterungen aktiviert.

Viel Lärm um nichts, könnte man sagen. Doch der Vorfall lässt böse Ahnungen über den Verhandlungsstil im kommenden Jahr aufkommen. Da ist etwa Deutschland, das in ein Wahljahr geht und den ungezogenen Südländern mit dem Rohrstab drohen könnte, um an den Stammtischen zu punkten. Andererseits ist Griechenlands Premier Tsipras bereit, Geschenke zu verteilen, um seine Umfragewerte zu verbessern. Das Geld hätte sinnvoller als für einen einmaligen Zuschuss verwertet werden können. 2017 dürfte ein Schlüsseljahr für Griechenlands Rettungsprogramm sein. Störmanöver für den Hausgebrauch sind gefährlich.

Selbstfinanzierung über Anleihen

Doch wo steht Griechenland? Als eines der Länder, die unter dem europäischen Rettungsschirm Zuflucht suchen mussten, bleibt es aufgrund der hohen Zinsen bislang von den Kapitalmärkten ausgeschlossen. 2014 probte die konservative Regierung Samaras die Rückkehr auf die Märkte. Wenn alles gut geht, ist es 2017 wieder so weit. Die Regierung will die zweite Überprüfung des laufenden Hilfsprogramms so schnell wie möglich abschließen, im Anschluss daran beim Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) mitmachen. Das sollte die Zinsen für langfristige Staatsanleihen purzeln lassen und die probeweise Auflage von Anleihen ermöglichen.

Die mögliche Erfolgsgeschichte: Griechenland kann sich wieder selbst finanzieren. Das Horrorszenario: Die Rückkehr auf die Kapitalmärkte scheitert, ein viertes Rettungsprogramm wird notwendig.

Nach der chaotischen Anfangsphase von Premier Tsipras im ersten Halbjahr 2015 hätten es nur wenige für möglich gehalten, aber Griechenland blieb 2016 insgesamt auf Kurs. Die im August 2015 mit den Gläubigern vereinbarten großen Reformziele wurden beschlossen; die Budgetziele dürften erreicht werden, die Steuereinnahmen liegen sogar weit über den Erwartungen. Auf der Habenseite der Regierung stehen etwa eine Verbreiterung der Steuerbasis durch die Abschaffung von Begünstigungen für die Bauern, eine Reform der Sozialversicherung und des Pensionssystems sowie die stärkere Heranziehung der Freiberufler über die gehobenen Kassenbeiträge.

Trüber ist die Privatisierungsbilanz: Zwar konnten mit der Übergabe von 14 Regionalflughäfen an die deutsche Fraport und des Hafens Piräus an die chinesische Cosco wichtige Großinvestoren an Land gezogen werden. Gescheitert ist letztlich aber der Verkauf des Erdgasoperators Esfa an die aserbaidschanische Soccar, auch blieben die Einnahmen weit hinter den Erwartungen zurück. Doch die Gläubiger haben Zeit: In der sogenannten Superkasse bleibt ein Großteil des öffentlichen Eigentums für 99 Jahre gebunden – die Hälfte der Einnahmen geht in die Schuldentilgung.

Die beste Nachricht ist die Rückkehr zum Wachstum. In den ersten neun Monaten wuchs Griechenlands Wirtschaft um 0,2 Prozent, die Bank of Greece rechnet insgesamt für 2016 mit einem winzigen Plus von 0,1 Prozent. Schon 2017 soll die Wirtschaft um die zweieinhalb Prozent wachsen, 2018 um drei Prozent. Das lässt die Erfüllung der Budgetziele für diese Jahre realistisch erscheinen: 2017 muss der Primärüberschuss, das ist der Einnahmenüberschuss unter Abzug der Zinszahlungen, 1,75 Prozent betragen, 2018 aber schon 3,5 Prozent. Das ist nur bei hohen Wachstumsraten möglich.

Doch viele Indikatoren sind nach wie vor schlecht. Die Exporte sind zwar in den vergangenen Jahren leicht gestiegen, angesichts der starken Lohnreduzierungen und der damit verbundenen Preissenkungen ist das Ergebnis aber enttäuschend. Um Qualitätsprodukte zu liefern, braucht es mehr als den Rechenstift, es braucht Investitionen in exportträchtige Produkte. Ein großer Hemmschuh für Investitionen ist vor allem die immer noch schrumpfende Kreditvergabe. Die Zinsen sind hoch, die Kriterien streng; die Banken haben wegen der vielen faulen Kredite aber keine andere Wahl. Ein wichtiges Ziel für 2017 ist daher der Abbau der unbedienten Kredite, die inzwischen 45 Prozent des Gesamtvolumens ausmachen.

Die Steuer- und Abgabenlast ist derart gewachsen, dass sie die Entwicklung hemmt. Firmen zahlen 29 Prozent Körperschaftsteuer, das gilt allgemein als viel zu hoch. Und die Sozialbeiträge für Freiberufler sind so hoch, dass sie hinter vorgehaltener Hand als eine Art Berufsverbot bezeichnet werden.

Neuwahlen verunsichern die Märkte

Unsicherheit schaffen aber vor allem mögliche politische Entwicklungen. Wenn etwa die Türkei das Abkommen EU/Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen aussetzt, droht ein Ansteigen der Flüchtlingszahlen. Schon jetzt tut sich das Land mit seiner Tausende Kilometer langen Küste mit der Versorgung der etwa 63.000 gestrandeten Flüchtlinge schwer.

Was aber viele am meisten fürchten, sind Neuwahlen. Sie sind das beste Mittel, um die Märkte zu verunsichern und die Zinsen in die Höhe zu treiben. Genau das geschah im Herbst 2014, vor den vorverlegten Parlamentswahlen vom Jänner 2015, bei denen Tsipras erstmals siegte. Die Regierung des einstigen Volkstribuns ist inzwischen äußerst unbeliebt – sie hat zu viele Versprechungen brechen müssen. Der junge Parteichef der Konservativen, Kyriakos Mitsotakis, fordert daher bei jeder Gelegenheit Neuwahlen. Denn: Geduld war noch nie eine Stärke griechischer Politiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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