Manchmal muss man schreien

Die Kindergärtnerinnen sind viel zu leise. Leider.

Wenn Lehrer grantig sind, kriegt die Bundesregierung Angst. Wenn Kindergärtnerinnen grantig sind, merken das höchstens die Kinder. Über die Leiden von Gymnasiallehrern wird das Land flächendeckend mit Leserbriefen auf dem Laufenden gehalten. Über den Alltag im Kindergarten wissen wir so gut wie nichts. Wenn Lehrer demonstrieren, tun sie das bevorzugt mittwochvormittags. Die Kindergärtnerinnen hingegen demonstrieren kommenden Samstagnachmittag, und kaum jemandem wird das auffallen.

Kindergartenpädagoginnen sind eben nicht so gut organisiert (zumindest im gewerkschaftlichen Wortsinn). Sie sind weniger laut und weniger selbstbewusst. Sie sind rücksichtsvoll und bescheiden. Das ehrt sie. Und doch wünscht man sich manchmal, sie würden auf den Tisch hauen.

In den Kindergärten vollzieht sich derzeit nämlich eine der spannendsten gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Es ist gar nicht lang her, da galten Kindergärten noch als Aufbewahrungsstätten für Kinder, die irgendwie anders waren, irgendwie bemitleidenswert. Weil sie keine „richtigen“ Vollzeitmütter hatten.

Die Arbeit dort war traditionell ein Übergangsjob für junge Frauen aus kleinbürgerlichem Milieu. „Ich bin Kindergärtnerin“ bedeutete: Ich bin nicht überehrgeizig, ich komme beim Arbeiten garantiert keinem Mann in die Quere. Ich bin nicht einmal richtig berufstätig. Ich beschäftige mich bloß ein bisserl, bis ich heirate und eigene Kinder kriege.

Die Geringschätzung, die in diesem Berufsbild steckt, erklärt, warum die Ausbildung in Österreich immer noch nicht auf akademischem Niveau stattfindet. Warum das Gehaltsniveau so beschämend niedrig ist, die Standesvertretung so leise und die Personalfluktuation so hoch.

In jüngster Zeit hat sich das Image des Kindergartens allerdings radikal gewandelt. In bürgerlichen Schichten kann es inzwischen gar nicht früh genug losgehen mit der „Förderung“ – die Bildungselite will schließlich keine Zeit mit Gummihüpfen verplempern. Wirtschaft und Wissenschaft haben die Jahre vor der Schulpflicht als jene identifiziert, in denen Investitionen den größten Effekt erzielen. Der Kindergarten ist ein Anker für den gesellschaftlichen Zusammenhalt geworden. Ohne ihn ergibt keine Integrationsdebatte und keine Bildungsdebatte Sinn.

In diesen Schlüsselpositionen werden wir die besten Frauen und Männer brauchen. Wir müssten sie mit der tollsten Ausbildung locken, mit Geld und Anerkennung. Jene, die wir bereits haben, müssten wir umhegen mit besseren Arbeitsbedingungen, kleineren Gruppen, Weiterbildung und Aufstiegsperspektiven. Und um all das durchzusetzen, müssten die Kindergärnterinnen endlich einmal laut schreien.

Es ist zwar richtig, dass Schreien in der modernen Pädagogik verpönt ist. Doch im Umgang mit störrischen Erwachsenen ist es leider oft das Einzige, was hilft.

Sibylle Hamann ist Journalistin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2009)

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