Mexiko: Wird alles nur noch schlimmer?

File photo of buildings in Nogales, Mexico separated by a border fence from Nogales, Arizona
File photo of buildings in Nogales, Mexico separated by a border fence from Nogales, Arizona(c) REUTERS (MIKE BLAKE)
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Das Land blickt voll Sorge in die Zukunft. Der anstehende Machtwechsel in Washington verheißt nichts Gutes, viele ausländische Unternehmen wollen ihre Investments abziehen.

Buenos Aires. Mexiko war ein miserables Jahr 2017 vorausgesagt worden. Doch nach dem Verlauf der ersten zehn Tage des neuen Jahres fragen sich viele, ob nicht alles noch viel schlimmer kommt. Während sich eine massive Protestwelle über fast alle Bundesstaaten ausbreitete, scheint die Regierung überfordert damit, ihr Land auf die Auswirkungen des Machtwechsels in Washington vorzubereiten. Mexiko drohen der Abzug ausländischer Investments, ein Verfall des Peso, eine Zunahme der Inflation. Und es sind massive soziale Konflikte zu befürchten, wenn Hunderttausende aus den USA abgeschobene Mexikaner in ein Land zurückkehren sollen, dessen Fabriken schließen müssen.

Bürger sind auf der Straße

Mexiko stehe ein „Horrorfilm“ bevor, hatte Zentralbankchef Agustín Carstens kurz vor Silvester öffentlich befürchtet. Wenige Tage später startete die Regierung bereits das Vorprogramm, sogar ohne US-Zutun. Zum Jahreswechsel erhöhte sie die Treibstoffpreise um 20 Prozent. Dazu die Tarife für Gas, Strom und Beförderung, was wiederum viele Waren verteuerte. Diese Maßnahme war im Oktober mit den Stimmen der Opposition im Kongress beschlossen worden als Teil eines Sparplans, der die Energiesubventionen schrittweise abbauen soll, um Spielraum zu gewinnen für mögliche Trump-Folgen. Angeführt von Lastwagen- und Taxifahrern gingen viele Bürger auf die Straßen. Hunderte Geschäfte wurden in der ersten Jännerwoche geplündert und mehr als 1000 Personen festgenommen. Sechs Menschen starben.

Mit solchem Furor hatte die Regierung nicht gerechnet. Präsident Enrique Peña Nieto war im Golf-Urlaub, den er erst abbrach, als die Proteste schon landesweite Ausmaße angenommen hatten. Vor drei Jahren war Peña Nieto noch auf dem Cover des „Time“-Magazins. Damals hatte der heute 50-Jährige mit erheblichem politischen Instinkt die bislang unvorstellbare (Teil)-Privatisierung des Erdölriesen Pemex eingeleitet. Doch dieser Verve ist ebenso dahin wie das Versprechen, jährlich um fünf Prozent zu wachsen. Der Erdölpreisverfall hat dem Förderland ebenso zugesetzt wie Korruption und die Macht der Kartelle. Auf 1,8 Prozent schätzt die Bank BBVA Bancomer die Zunahme in 2016 ein. Zu wenig, um die Armut zu reduzieren, die auch nach 24 Jahren Nafta immer noch jeden zweiten Mexikaner quält.

Als Nieto im Vorjahr den Wahlkampf-Wüterich aus dem Norden bewirtete, waren viele Mexikaner entsetzt. Der Finanzminister und Präsidenten-Intimus, der den Trump-Besuch organisierte und nach dessen unrühmlichem Nachspiel zurücktreten musste, wurde nun reaktiviert: Luis Videgaray ist jetzt Mexikos Außenminister. Der an der US-Elite-Uni MIT ausgebildete 48-jährige Ökonom soll mit seinem guten Draht zu Trumps Schwiegersohn Jared Kushner das Erdbeben verhindern.

Kaum war die Wiederkehr Videgarays publik geworden, löste der twitternde Tump die erste Schockwelle des Jahres aus. Mit der Drohung hoher Importzölle für General Motors und Toyota bewirkte er, dass Ford einen Bauplatz in der Wüste nahe der Stadt San Luis Potosí räumte und statt 1,6 Milliarden in Mexiko nun 700 Millionen Dollar in Michigan investiert. Das ließ den Peso, der in den vergangenen zwei Jahren schon mehr als 50 Prozent seines Werts verloren hatte, auf ein Rekordtief abstürzen.

Kurz darauf verkündete Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne, eine Milliarde in zwei neue Werke zu stecken – aber in Ohio und Michigan. „Es steht viel auf dem Spiel“, sagt Alonso Cervera, Lateinamerika-Chefökonom bei Credit Suisse. „46 Prozent aller seit 1999 eingeströmten Auslands-Direktinvestments stammen aus den USA. Nun werden viele Investoren genau hinsehen, wer Ford folgt.“

Unweit des nun verlassenen Bauplatzes fertigt General Motors seit 2008 seine Chevrolet-Modelle Aveo und Trax, und in der Nähe feierte im Juni eine neue BMW-Fabrik Richtfest. In dem Werk, in das der Münchner Konzern eine Milliarde Dollar stecken will, sollen ab 2019 jährlich 150.000 Modelle der 3er-Serie vom Band rollen. Allerdings bauen die Bayern gleichzeitig auch ihre Fertigungsanlage in South Carolina zur größten Fabrik des Konzerns aus.

Mexikos Autos gehen in die USA

Mit über 40 unterzeichneten Freihandelsabkommen, der geografischen Nähe zu den USA und Bruttolöhnen von acht Dollar pro Stunde wurde Mexiko zur größten Autobaunation Lateinamerikas. Die 17 Werke namhafter Hersteller produzieren jährlich mehr als drei Millionen Fahrzeuge. 77 Prozent aller in Mexiko gefertigten Autos werden, so der Branchenverband Amia, in die USA exportiert. Der Sektor generiert mehr als drei Prozent des mexikanischen BIPs und repräsentiert etwa ein Zehntel aller ausländischen Investitionen. Nachdem sich auch viele wichtige Zulieferfirmen in Mexiko niedergelassen haben, hängen eine Million Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab. Weil die nordamerikanischen Werke auch viele Zulieferungen aus Mexiko benötigen, glauben einige Brancheninsider, dass die Suppe am Ende doch nicht so heiß gegessen wird, wie sie der Twitter-Trump jetzt kocht. „Wir fangen jetzt nicht überstürzt an, Investitionen zu bremsen“, sagte der Vorstandschef des Zulieferers ZF, Stefan Sommer, dem Branchenblatt „Automobilwoche“. Grundsätzlich glaubt der Manager an den Standort Mexiko: „Nordamerika braucht Mexiko als Produktionsland, um global wettbewerbsfähig zu bleiben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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