"Es gibt kaum ein Land, in dem die Mittelschicht nicht schrumpft"

(c) City University of New York
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Obwohl die Ungleichheit bei Einkommen in fast allen Ländern zunimmt, steigt die globale Gleichheit an, so US-Ökonom Milanovic. Gewinner gibt es in Asien, Verlierer im Westen.

  • Wien. Die Verteilung von Einkommen und Vermögen werde immer ungleicher. Das ist eine populäre Aussage, die jüngst von der britischen NGO Oxfam durch eine Studie angeheizt wurde. Wie berichtet, setzte Oxfam dabei das Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung mit den reichsten Einzelpersonen des Planeten in Relation. Und während im Vorjahr noch die 62 Reichsten so viel hatten, wie die ärmsten 3,7 Milliarden, so reichten dafür heuer die acht Reichsten. Ein Beweis für zunehmende globale Ungleichheit, so Oxfam.

Eine Aussage, die angesichts der Zahlen von US-Ökonom Branko Milanovic nicht standhält – zumindest wenn es um Einkommen geht. Denn während die Ungleichheit (gemessen am Gini-Koeffizienten) global gesehen seit dem frühen 19. Jahrhundert bis etwa zur Jahrtausendwende konstant anstieg, fällt sie seither deutlich nach unten, so der auf Verteilungsökonomie spezialisierte Professor der City University of New York am Mittwoch auf Einladung der Arbeiterkammer vor Journalisten.

Westen als globale Bourgeoisie

Grund für diesen fast 200-jährigen Anstieg der globalen Ungleichheit war die industrielle Revolution. „Sie brachte den westlichen Ländern Reichtum, während etwa China und Indien arm blieben.“ In der Folge wurde die Dritte Welt das „globale Proletariat“ und die Industrieländer die „globale Bourgeoisie“, so Milanovic. War es Mitte des 19. Jahrhunderts noch gleich wichtig welcher „sozialen Klasse“ man angehörte und wo man lebte, verschob sich das zunehmend auf den Wohnort. Dies werde sich in Zukunft aber wieder ändern, ist sich Milanovic sicher. Für 2050 erwartet er ein weiteres Sinken der globalen Ungleichheit auf das Niveau des Beginns des 20. Jahrhunderts. Dadurch werde aber auch wieder wichtiger, welcher sozialen Klasse man angehört.

„Es gibt kaum ein Land, in dem die Mittelschicht nicht schrumpft“, so Milanovic. Grundsätzlich sei das ja auch nicht unbedingt schlecht, weil manche auch den Aufstieg zu den Reicheren schaffen. „In den USA sieht es in Summe aber so aus, dass für zwei, die den Aufstieg schaffen, drei zu den Armen abrutschen.“

In Summe ergibt sich ein Bild, das Milanovic in seiner Zeit als Weltbank-Chefökonom im Jahr 2012 erstmals in einem Chart dargestellt hat, das in der Folge als Elefantenkurve bekannt geworden ist. Dabei sieht man, dass die relativen Zuwächse beim Einkommen zwischen 1988 und 2008 bei der „globalen Mittelschicht“ am stärksten waren.

(c) Branko Milanovic

Das sind jene Menschen in den Schwellenländern, die aufgrund von Globalisierung und Outsourcing jene Industriejobs ergatterten, die aus den Industrieländern abwanderten. Die Verlierer sind jene Einwohner der Industrieländer, die diese Jobs zuvor hatten. Sie sind absolut gesehen zwar reicher als jene in den Schwellenländern, müssen aber seit 20 Jahren weitgehend stagnierende Einkommen hinnehmen. Ebenfalls Gewinner sind die Gutverdiener im Westen, deren Einkommen durch die Globalisierung auch anwuchsen. Das ergibt die paradoxe Situation, dass innerhalb der Nationen die Ungleichheit wächst, global aber sinkt.

Protektionismus hilft nicht

Vom Plan des neuen US-Präsidenten, diese Globalisierungsverlierer mittels Protektionismus zu schützen, hält Milanovic nichts. Das könne einzelnen Branchen helfen, würde in Summe aber mehr Schaden verursachen. Sowohl für die USA selbst als auch für die Schwellenländer. Wobei er die sinkende globale Ungleichheit nicht für ein gutes Argument gegenüber den Verlierern in den entwickelten Staaten hält. „Es ist eigenartig jemandem, der den Job verloren hat zu sagen, den Menschen in Indien geht es noch viel schlechter.“

Die Politik müsse sich dennoch der steigenden nationalen Ungleichheit annehmen. Es müsse verhindert werden, dass die Kinder der Ärmeren ebenfalls arm werden. Hochwertige Bildung müsse unabhängig der finanziellen Möglichkeiten sichergestellt sein. Andernfalls drohe man, ganze Bevölkerungsschichten zu verlieren. Als Beispiel dafür sieht Milanovic die weiße untere Mittelschicht in den USA, bei denen sowohl Alkoholismus als auch Selbstmordrate zuletzt bedrohlich zugelegt haben.
Höhere Steuern für Reiche sieht Milanovic grundsätzlich auch als sinnvoll an. Vor allem bei Kapitalerträgen und Erbschaften. Allerdings müsse gewährleistet sein, dass diese Steuern nicht erneut die Mittelschicht treffen. Diese sei schon stark genug belastet.

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