Grünes Licht für Italiens Wahlgesetz

Verfassungsrecht. Die Richter wiesen Klagen gegen das Wahlrecht ab – einer Neuwahl im Juni steht rechtlich nichts mehr im Wege. Doch der Präsident will ein baldiges Votum verhindern.

Rom. Der Weg für Neuwahlen in Italien noch in diesem Juni ist frei – zumindest aus rechtlicher Sicht. Nach stundenlangen Beratungen beschlossen die Verfassungsrichter am Mittwoch, dass das derzeitige Wahlrecht grosso modo gültig ist. Lediglich die darin vorgesehene Stichwahl wurde von den Richtern abgelehnt. Insgesamt könne aber das „Gesetz sofort angewendet werden“, hieß es.

Die derzeitige Regelung, das sogenannte Italicum, ist seit Juli 2016 als Wahlgesetz für die Abgeordnetenkammer in Kraft. Demnach würden der Partei, die 40 Prozent oder mehr bei einer Wahl erreicht, automatisch 54 Prozent der Sitze zugesprochen werden, also 340 der insgesamt 630 Sitze. Vorgesehen war auch eine Stichwahl, sollte keine der Parteien auf 40 Prozent kommen – dieser Passage gaben die Richter gestern kein grünes Licht. Sie soll gestrichen werden. Eine unzulässige Machtkonzentration, so die Kritiker, die gegen das Gesetz geklagt haben.

Zudem ist die Wahl des Senats im Italicum nicht mehr geregelt worden, weil dieser eigentlich durch eine Verfassungsänderung hätte abgeschafft werden sollen. Doch eine Volksabstimmung über die Änderung der Verfassung war am 4. Dezember gescheitert, der damalige Ministerpräsident, Matteo Renzi, ist daraufhin zurückgetreten. Vor allem die Regelungen über die Mehrheitsverhältnisse waren bereits vor dem Referendum Grund für zahlreiche Klagen.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts bedeutet jedoch noch keine neue Gesetzgebung – diese muss vom Parlament erarbeitet und verabschiedet werden. Nach dem gescheiterten Referendum über die Verfassungsreform, die faktisch die Abschaffung des Zwei-Kammer-Systems bedeutet hätte, wurde die Entscheidung des Gerichts abgewartet, um ein neues Wahlrecht zu schaffen. Die Hauptaufgabe des Parlaments besteht nun darin, das Wahlrecht für den Senat und das für die Abgeordnetenkammer wieder aneinander anzupassen.

Staatspräsident Sergio Mattarella machte bereits mehrfach klar, dass die Italiener erst mit einem neuen Wahlrecht wählen sollen. Geplant ist die nächste Parlamentswahl erst für Frühjahr 2018 an. Aber nach Renzis Rücktritt werden Simmen nach sofortigen Neuwahlen lauter: Als wahrscheinlichster Termin wird der 11. Juni gehandelt. An diesem Tag sollen auch in zahlreichen Regionen des Landes Kommunalwahlen stattfinden. Wegen der Sommerpause und der langen Ferien in Italien wäre ein späterer Termin erst wieder im Oktober möglich – was wegen der dann anstehenden Budgetverhandlungen allerdings als unwahrscheinlich gilt.

Am lautestesten fordert die Opposition – allen voran der Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, sofortige Neuwahlen. Auch der Vorsitzende der rechten Lega Nord, Matteo Salvini, will bald abstimmen lassen. Die Berlusconi-Partei Forza Italia hingegen ist zurückhaltend – Parteichef Silvio Berlusconi würde ein späterer Wahltermin in die Hände spielen. Er wartet noch auf einen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, bei dem der 80-Jährige eine Aufhebung des für ihn aktuell geltenden Ämterverbots gefordert hat. Da er wegen Steuerbetrugs verurteilt ist, darf Berlusconi derzeit für kein öffentliches Amt kandidieren. Das Urteil wird noch heuer erwartet. Berlusconi hat mehrfach angekündigt, selbst wieder für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren zu wollen.

Frischer Renzi mit neuem Blog

Und Matteo Renzi? Er ist am Mittwoch mit einem neuen Blog wieder in der breiten öffentlichen Wahrnehmung aufgetaucht. In seinem ersten Beitrag ruft der Ex-Premier die Italiener dazu auf, nach vorn zu schauen – er selbst mache sich auf den Weg in die Zukunft. Anders als viele in seiner linksdemokratischen Partei will auch Renzi Neuwahlen. Er interpretiert das Ergebnis des Referendums vom 4. Dezember2016 nicht als Niederlage, sondern als Chance – 60 Prozent der Italiener haben gegen die Verfassungsänderung gestimmt, 40 Prozent dafür. Diese 40 Prozent sieht Renzi auf seiner Seite. Das Lager des „No“ spalte sich in Anhänger unterschiedlicher Parteien, so die Überlegung.

Allerdings muss der 42-Jährige bis zur kommenden Wahl vor allem die eigene Generation von sich überzeugen – von den 18- bis 34-Jährigen haben nur 32 Prozent für die Verfassungsänderung gestimmt, von den 35- bis 54-Jährigen 37 Prozent. Viele haben ihre Wahl nicht mit dem Inhalt des Referendums, sondern mit der Unzufriedenheit mit Renzi begründet.

Doch der Ex-Premier scheint trotz allem positiv gestimmt zu sein. In seinem ersten Blogbeitrag verabschiedet er sich – wie auch schon früher in seinem Newsletter – mit einem virtuellen Lächeln: „Un sorriso, Matteo“, steht unter seinem Text. Er ist wieder zurück.

AUF EINEN BLICK

Wahlgesetz. Mit der Gesetzesänderung von 2015 wurde ein Mehrheitswahlrecht für die Abgeordnetenkammer eingeführt. Premier Renzi wollte damals damit erreichen, dass der Wahlsieger mehr Stimmen bekommt und das politische System stabiler wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2017)

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