Fast 300.000 „Working Poor“ in Österreich

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Bei 297.000 Menschen reicht das Einkommen nicht aus, um über der Armutsgefährdungsschwelle zu liegen. Zuletzt hat sich die Ungleichverteilung bei den Einkommen gegen den internationalen Trend aber verringert.

Wien. Armut und Armutsgefährdung sind seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 gesunken. Zugleich hat sich in Österreich zuletzt auch die Ungleichheit bei den Einkommen im Gegensatz zum internationalen Trend leicht verringert. Dennoch sind die Einkommen und Vermögen laut dem vom Sozialministerium veröffentlichten Sozialbericht 2015/16 „extrem ungleich“verteilt.

Schätzungen zufolge besitzt das reichste Prozent etwa 34 Prozent des gesamten Nettovermögens in Österreich. Dieser Wert ist laut einer Studie der Europäischen Zentralbank höher als in allen anderen untersuchten EU-Ländern. Das vermögendste Prozent der Haushalte verfügt demnach über nahezu gleich viel Nettovermögen wie die unteren 80 Prozent der Bevölkerung. Kritisch merkt der Bericht des Sozialministeriums auch an, dass in Österreich Arbeit hoch und Vermögen vergleichsweise gering besteuert wird. 1,4 Prozent des Abgabenaufkommens stammten 2014 aus vermögensbezogenen Steuern, im Durchschnitt der EU-15 lag dieser Wert bei sechs, im OECD-Schnitt bei 5,5 Prozent.

Die Autoren des Sozialberichts schlagen deshalb eine Erbschaftssteuer beziehungsweise eine Steuer bei Vermögensübertragung vor. Daten der Nationalbank lassen laut Sozialbericht erwarten, dass der Vermögenstransfer über Erbschaften in den nächsten zwei Jahrzehnten von jährlich zwölf Mrd. Euro (2015) auf über 20 Mrd. Euro (2035) ansteigen wird. Steuerliche Maßnahmen müssten aber auch bei den Kapitaleinkommen ansetzen, wo die anonyme Flat Tax der Kapitalertragssteuer überdacht werden sollte. Zusätzlich sei eine Reform der Grundsteuer denkbar.

Oft weniger als 1500 brutto

297.000 Menschen gelten in Österreich trotz Arbeit als arm („Working Poor“). Ihr Einkommen reicht nicht aus, um für sich und ihre Familie ein Einkommen über der Armutsgefährdungsschwelle zu erzielen. Besonders betroffen sind alleinerziehende Frauen, Menschen mit geringer Bildung sowie Ausländer. Mindestens 400.000 Menschen in der Privatwirtschaft erzielen auf Basis von Vollzeitbeschäftigung einen Bruttolohn von weniger als 1500 Euro. Zwei Drittel davon sind Frauen.

Weitere Erkenntnisse aus dem Sozialbericht: Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen hat sich seit 2008 mehr als verdreifacht. Und 23 Prozent aller Menschen in Österreich leben in Haushalten, die keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 1100 Euro finanzieren können.

Österreich hat zudem auch einen der höchsten Unterschiede bei den Stundenlöhnen von Männern und Frauen in Europa. Frauen verdienen laut Sozialbericht bei gleicher Arbeit im Schnitt um 22,9 Prozent weniger. 75 Prozent der Männereinkommen liegen über dem Median der Fraueneinkommen. Fast 50 Prozent der Frauen, aber nur zehn Prozent der Männer arbeiten Teilzeit. Hier zeige sich der „lange Atem traditioneller Geschlechterrollen“, heißt es. Auch Alterspensionen von Männern sind um fast zwei Drittel höher als jene der Frauen.

Zunehmend belastend sind für Bezieher geringer Einkommen etwa die Wohnungsmieten: Seit 2008 sind die Wohnkosten pro Quadratmeter für Niedrigeinkommensbezieher fast dreimal so stark gestiegen wie für Haushalte mit hohen Einkommen.

Bis 2030 dürfte zudem die Sozialquote von derzeit 30,2 Prozent weiter steigen. Die Sozialausgaben steigen – zusätzlich zum demografiebedingten Mehraufwand – im Schnitt um real 0,5 Prozent pro Jahr. Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent ergäbe dies laut Berechnungen für 2030 eine Staatsquote von 33,4 Prozent. Bei 1,8 Prozent BIP-Wachstum würde die Staatsquote bei 30,5 Prozent liegen. (APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2017)

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