Jeff Bezos und wie er die Welt sieht

Amazon CEO Bezos demonstrates features of his company´s new Fire smartphone at a news conference in Seattle
Amazon CEO Bezos demonstrates features of his company´s new Fire smartphone at a news conference in Seattle(c) REUTERS (� JASON REDMOND / Reuters)
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Den Buchhändlern sei nicht Amazon, sondern die Zukunft passiert, sagt Amazon-Chef Jeff Bezos. Der Satz ist auf fast jede Branche anzuwenden – am akutesten auf Zusteller und Supermärkte.

Wien. Als er klein war, wollte Jeff Bezos Astronaut werden. Später, als der hochbegabte Junge bereits Banker mit einem Diplom der Eliteuni Princeton war, las er eine Studie über dieses neuartige Ding namens Internet. In dem unerschütterlichen Vertrauen, dass er auf etwas Großes, Revolutionäres gestoßen war, verließ er seine Finanzfirma, zog in die Stadt der Verlage, Seattle, gründete 1994 Amazon – und revolutionierte mit seinem Internetversand unerbittlich den Buchmarkt.

„Was den Buchhändlern passiert, ist nicht Amazon, sondern die Zukunft“, sagt Bezos oft. Der markige Spruch ist legendär und wird in einem Versuch, den Chef zu porträtieren, gern von seinen 341.400 Mitarbeitern zitiert. Er lässt sich heute unendlich variieren. Denn als Bezos seinen Investoren 1997 verspricht, viel Geld zu verbrennen, viele Fehler zu machen und alles im Internet zu verkaufen, was sich der Kunde wünscht, ist das nicht dahergesagt. Aber als er einen Marktplatz für so ziemlich alle erdenklichen Produkte gebaut hat, stoppt er nicht. Heute ist Bezos Filmproduzent, Cloud-Anbieter, Supermarktbetreiber, Eigentümer der renommierten „Washington Post“ und einer Raumfahrtfirma. Man sollte richtigerweise fragen, was das Imperium des Jeff Bezos nicht abdeckt.

Gewinnsprung enttäuscht

Als Amazon am Donnerstag seine Jahreszahlen für 2016 veröffentlichte, waren die Anleger aber enttäuscht. Im abgelaufenen Jahr wuchs der Umsatz um 27 Prozent auf umgerechnet 127 Mrd. Euro an. Der Gewinn kletterte von 555 Mio. Euro auf 2,2 Mrd. Euro. Jeff Bezos, der wie versprochen jahrelang Geld verbrannt hatte, gelang das siebente Quartal in Folge ein Gewinn. Die Aktie stieg im Jahresvergleich um mehr als 50 Prozent.

Die Enttäuschung der Investoren ist nicht bloß ein schönes Beispiel für die hochgeschaukelten Erwartungen an den Kapitalmärkten. Zugleich ist sie das beste Indiz, dass Amazon als die Zukunft schlechthin gehandelt wird. Diesem Pferdchen traut man gern mehr als einen Gewinnsprung auf das Vierfache zu.

Bezos gibt seinen Anlegern auch gute Gründe dafür. Die umwälzende Kraft von Amazon nähert sich gerade auf leisen Sohlen der Logistikbranche. Eine offene Kampfansage gibt es nicht. Das wäre auch nicht im Stil der Seattler, die ihren nächsten Schritt kommunizieren, wenn er tausendfach geprüft und umgesetzt wurde. Aber die Zeichen an der Wand sind deutlich: 2016 schloss Amazon mit zwei Luftfrachtfirmen Verträge ab – unter dem Namen Prime Air sollen bald 40 Frachtflugzeuge für den Konzern im Einsatz sein. Daneben baut Amazon einen Lkw-Park in den USA auf. Im Jänner erlangte der Konzern laut US-Medien in China die Seefrachterlizenz, mit der er Waren seiner dortigen Produzenten in Eigenregie in die USA schippern kann. Und im Dezember lieferte eine vollautomatische Drohne dem ersten Kunden in Großbritannien in 13 Minuten seinen Videostreaming-Stick samt Popcorn. Als Bezos die Idee 2013 präsentierte, tat das Publikum sie lachend als Witz ab. Wie bei vielem aus dem Hause Amazon sollte sich herausstellen, dass der Witzgehalt gering war.

Attacke zu Land, Wasser, Luft

Jüngster Schritt im Abnabelungsprozess von den Lieferdiensten war der am Dienstag verkündete, 1,4 Mrd. Euro teure Bau eines eigenen Frachtflughafens in Kentucky, USA. Nur unweit vom Drehkreuz seines Zustellers DHL. Spätestens jetzt dürfte Logistikern von FedEx bis hin zur österreichischen Post schwanen, dass Amazons Vorstoß zu Land, Wasser und in der Luft für sie ebenso schmerzhafte Konsequenzen haben könnte wie einst für den Buchhandel. US-Präsident Trump jedenfalls dürfte sich von Bezos' Plänen in seiner „America first“-Kampagne bestätigt fühlen: Der Konzern hat angekündigt, für das geplante flächendeckende Logistiknetz in den kommenden 18 Monaten 100.000 neue Arbeitsplätze in den USA zu brauchen.

Man könnte meinen, die Attacke auf die Logistikbranche beanspruche seine vollste Aufmerksamkeit. 2016 blieb Bezos aber auch Zeit, sein Profil als Angstgegner der Supermärkte zu schärfen. Frische Lebensmittel liefert Amazon bereits in einigen Metropolen. Länger haltbare in noch viel mehr Städten. Praktisch zeitgleich zum Drohnenflug in Großbritannien eröffnete in Seattle nun im Dezember der erste Hightech-Supermarkt ohne Kasse, bei dem der Einkauf automatisch über das Amazon-Konto abgerechnet wird. Zurzeit läuft der Testbetrieb. Bis zu 2000 Supermärkte sollen geplant sein.

Das klingt nach Zukunftsmusik – aber das hätten viele vor zwanzig Jahren auch über die Buchbestellung per Mausklick gesagt. Die Zukunft trägt viele Gesichter – eines davon gehört Jeff Bezos.

AUF EINEN BLICK

Amazon wurde 1994 von Jeff Bezos in Seattle gegründet. Sein Buchversand entwickelte sich zu einem wendigen, milliardenschweren Konzern. Aktuell probiert Bezos im Lebensmittelhandel und in der Logistikbranche Fuß zu fassen. Sein Vermögen wird von „Forbes“ auf 65 Mrd. Euro geschätzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2017)

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