Deutschland schöpft aus dem Vollen

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Der deutsche Staat hat 2016 mit fast 24 Mrd. Euro den höchsten Überschuss seit der Wiedervereinigung erzielt. Nur eines bereitet Kopfzerbrechen: Wohin mit dem vielen Geld?

Wien/Berlin. Das Ergebnis übertrifft deutlich die schon hohen Erwartungen. Der deutsche Staat hat im Vorjahr einen Rekordüberschuss erzielt: 23,7 Mrd. Euro, so viel wie seit dem Jahr der Wiedervereinigung, 1990, nicht mehr. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist das ein Saldo von plus 0,8 Prozent. Vergessen sind die schlimmen sieben Jahre, in denen Deutschland das Drei-Prozent-Defizitziel von Maastricht verletzte. Die schwarzen Zahlen ziehen sich mittlerweile durch alle Bereiche: Bund und Sozialversicherungen steuern je rund acht Mrd. bei, auch Länder und Gemeinden sind klar im Plus.

Die Gründe für den Geldsegen sind einfach zu benennen: eine gute Konjunktur, die für sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Löhne sorgt – und in der Folge für sprudelnde Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben. Die EZB hält zudem die Zinslast des Schuldners Staat extrem niedrig. Somit brauchte Wolfgang Schäuble in den vergangenen Jahren gar keinen harten Sparkurs einschlagen, um erst schwarze Nullen und dann Überschüsse in Serie zu erzielen. Der CDU-Finanzminister wehrte die stärksten Begehrlichkeiten ab und ließ die Ausgaben nur moderat steigen. Weil die Wirtschaftsleistung deutlich wächst, geht die Schuldenquote auch ohne viel staatliches Zutun zurück – in Richtung auf die Maastricht-Grenze von 60 Prozent, die bis 2020 wieder erreicht sein sollte.

Rücklage für Flüchtlingskosten

Bleibt die Frage: Wohin mit dem vielen Geld? Merkels Union wollte damit zuletzt den Schuldenabbau forcieren, die SPD setzt auf mehr öffentliche Investitionen. Weil sich die Große Koalition nicht einigen konnte, landet viel in jener Rücklage, die Kosten der Flüchtlingswelle von 2015 abdecken soll. Allerdings ist sie dafür – mit nunmehr über 18 Mrd. Euro – fast schon zu üppig dotiert (für heuer genügt eine Entnahme von weniger als sieben Mrd.). Was nun die Rufe lauter werden lässt, der Staat solle den Bürgern mehr von den angesammelten Schätzen zurückgeben. Die kalte Progression glich Schäuble bisher nur zögerlich aus. Auch in diesem Wahljahr macht die CDU/CSU keine sonderlich großzügigen Versprechen, die Steuern für die Mittelschicht zu senken. Besser bedient Martin Schulz von der SPD seine Stammklientel: Der Merkel-Herausforderer will Arbeitslose wieder länger finanziell versorgen und eine Mindestpension einführen.

Von Wahlgeschenken im Sozialbereich raten die meisten Ökonomen ab. Weniger einig waren sie sich bisher bei der Frage, wie notwendig mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur sind. Vor riesigen Lücken warnte das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) unter seinem Leiter Marcel Fratzscher. Was viele Medien dankbar aufgriffen: Bilder von bröckelnden Brücken und desolaten Schulen verstärkten die düstere Botschaft. Maßlos übertrieben, entgegneten die fünf Wirtschaftsweisen in mehreren ihrer Jahresgutachten.

Fest steht: Nur für rund ein Zehntel der zu schwachen Investitionen ist der Staat verantwortlich. Das größere Problem sind die Unternehmen, die lieber im Ausland investieren. Ihr Kapitalexport finanziert zugleich die Handelsbilanzdefizite, die andere Länder in ihrem Austausch mit den bärenstarken Deutschen erleiden. Damit die Unternehmen mehr Kapital zu Hause einsetzen, wäre aber wiederum der Staat gefragt – mit weniger Energiekosten und Bürokratie. Dass Schäuble so stark auf der Bremse steht, hat auch mit dem Blick in eine nur wenig fernere Zukunft zu tun: Der Kindermangel lässt die deutsche Bevölkerung schrumpfen, der Pensionsantritt der Babyboomer wird die Sozialsysteme ab 2020 stark belasten. Und auch die Zinsen bleiben wohl nicht ewig so niedrig wie heute.

Weniger von der Bundesbank

Das weiß freilich auch die Bundesbank, die deshalb am Donnerstag die Freude über den sauberen Staatshaushalt trübte: Im Rahmen des riesigen Anleihenkaufprogramms der EZB muss sie immer mehr Bonds erwerben, deren Kurs bei steigenden Zinsen fallen wird. Für dieses Risiko hat die Bundesbank nun mit 1,8 Mrd. Euro vorgesorgt – was ihren Gewinn stark reduzierte. Insgesamt überweist sie statt 3,2 Mrd. Euro wie im Vorjahr nur noch 400 Mio. nach Berlin. Was Schäuble darin bestärken dürfte, dass seine oft gescholtene Vorsicht berechtigt sei. (gau)

AUF EINEN BLICK

Der deutsche Gesamtstaat (Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherung) erzielte 2016 einen Rekordüberschuss. Mit 23,7 Mrd. Euro lag das Plus um 4,5 Mrd. höher als zunächst geschätzt. Getrübt wird die Freude durch die Bundesbank: Sie überweist um 2,8 Mrd. weniger als im Vorjahr. Grund sind Rückstellungen für die EZB-Programme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2017)

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