Vienna FC: Denn Tradition allein genügt nicht

FUSSBALL - Erste Liga, Vienna vs Parndorf
FUSSBALL - Erste Liga, Vienna vs Parndorf(c) GEPA pictures/ Josef Bollwein
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Österreichs ältester Fußballklub steht vor dem wichtigsten Spiel seiner Historie – die Gläubiger müssen dem Insolvenzantrag zustimmen. Eine Bestandsaufnahme.

Wien. Vienna, Österreichs ältester Fußballklub, meldet am Freitag Insolvenz an. Der Traditionsverein muss darauf hoffen, dass die Gläubiger zustimmen und eine 30-Prozent-Quote annehmen. Mehrere Hunderttausend Euro fehlen, Spieler haben seit Monaten kein Geld mehr gesehen; es herrscht wieder einmal Ungewissheit auf der Hohen Warte. Der Spielbetrieb aber soll bis Saisonende garantiert sein. Wer aller noch Geld verlieren wird bzw. längst Millionen verloren hat, ist ein undurchsichtiges Konstrukt diverser Fehler, die sich in Döbling seit Jahrzehnten aufgestaut hatten. Schnitzer und grobe Personalfouls schwacher Funktionäre, Desinteresse der lokalen Politik und Sponsoren, fehlende Tore zu schwacher Spieler, seltener Jubel der wenigen Fans, Streit um Baugründe – Gründe gibt es sonder Zahl.

Die Misere beim sechsfachen Meister und aktuellen Regionalligaklub hat sicher viele Ursachen, doch der finale Fehlpass war der schlimmste: Vienna hatte ihr Schicksal einem einzigen Geldgeber „anvertraut“.

Insolvenz einzige Überlebenschance

Der deutsche Billigstromanbieter Care-Energy, wie sich später herausstellte in Wahrheit nur dessen Geschäftsführer und Gründer Martin Kristek, war seit 2014 alleiniger Hauptsponsor. Kristek verstarb im Vorjahr überraschend, der Traditionsverein geriet in finanzielle Not. Die Lage verschärfte sich, auch der Sponsor ist insolvent. Doch ganz so spendabel schien selbst Kristek nicht. Laut Sponsorvertrag fließen stattliche 75?Prozent aller Vienna-Einnahmen durch weitere Sponsoren direkt an Care-Energy.

Es ist bezeichnend: Die Insolvenz ist folglich die einzige Chance, dass der Verein überhaupt überleben kann. Mit ihr würde dieser Vertrag seine Rechtsgültigkeit verlieren. Misslingt sie, springen neue Investoren – 150 sollen je 5000 Euro einbringen – ab.

Ohne Insolvenz müsste der Klub Konkurs anmelden, stünde anstatt nächste Saison in der viertklassigen Wiener Stadtliga vor dem endgültigen Nichts. Das würde – Gerüchte besagen, zum Wohlgefallen der Stadt Wien – sofort neue Gespräche befeuern, die dahin gehen, dass der Grund ohnehin wertvolles Bauland sei. Nur der Klub als Unterpächter der IG Immobilien (Tochter der Nationalbank) habe bislang verhindert, dass hier Wohnungen entstehen. Und deshalb habe die Stadtpolitik auch nur rundum das Augenmerk gelegt. Aber das ist sicher nur eine weitere Döblinger Legende . . .

Krankl, Kempes, Breitner – und jetzt?

First Vienna Football Club, der Name des 1894 gegründeten, ältesten Klubs des Landes spricht allein schon Bände. Sechs Meistertitel, Mitropacup-Triumph 1931, 68 Jahre in der höchsten Spielklasse. Auf der Hohen Warte drängten sich bis zu 85.000 und noch mehr Zuschauer. Das Wunderteam faszinierte hier, Klubspieler wie Karl Decker, Karl Koller oder Hans Buzek wurden zu Legenden. Lokale Größen und Edeltechniker lernten bis in die Gegenwart hier ihr Geschick. Hans Krankl kam 1980 vom FC Barcelona zurück, sogar zwei Weltmeister begeisterten in Wien: der Argentinier Mario Kempes (1986) kickte, der Deutsche Paul Breitner analysierte 1998 als Berater.

Gönner, Mäzene und politisch motivierte Funktionäre kamen pompös – und gingen zumeist im Streit. Es folgten Auf- und Abstiege, auf der überdachten Tribüne litten Schauspieler, Opernsänger, Autohändler und Politiker, stellvertretend für die Elite. Auch vis-à-vis, die Naturtribüne ist selbst ohne Match ein Erlebnis, verhallte ebenso jede Hoffnung. Erfolg hatten stets die anderen, 1997 gelang noch einmal der Einzug ins Cupfinale, seitdem rangiert Vienna nur noch in den unteren Fußballregionen.

Seit vergangenem Sommer sitzt Hans Kleer auf der Trainerbank. Er verfolgte die Situation, „seit drei Monaten haben Spieler und wir Trainer kein Gehalt bekommen“, erzählt er der „Presse“. Jeder im Verein wisse Bescheid, bis auf einen Spieler („Verkauft!“) seien alle geblieben. Kleer nennt es „Loyalität“. Dass sogar ein engagierter Bub aus der U8-Mannschaft einen Brief an Milliardär Dietrich Mateschitz geschrieben und um finanzielle Hilfe gebeten hat, sei wirklich herzergreifend. Es dokumentiere doch auch das Interesse: es bestehe weiterhin an Döblings blaugelber Pflanze.

Kleer wollte betont wissen, dass die Mannschaft „intakt“ sei, der Spielbetrieb weitergehe, er an die Vienna glaube. Man habe „Charakter. Fußball ist unser Leben. Ich hoffe so sehr, dass es kein Konkurs wird.“

2,4 Mio. Euro für einen Regionalligisten

Geschäftsführer Gerhard Krisch legte bei der Generalversammlung Zahlen und Richtwerte vor. Das Budget von 2,5 Millionen Euro müsse auf 1,8 Millionen schrumpfen, für einen Stadtligisten ist das aber weiterhin ein beträchtlicher Etat. Die Spielerkosten betrugen in der Saison 2015/2016 1,41 Millionen Euro – in der Regionalliga werden Fußballer also offenbar (zu) gut bezahlt.

Auch werde man nun jede Gelegenheit nützen, so Krisch, um Geld zu lukrieren. Rapid bot ein Freundschaftsspiel an, auch die Stadionmiete, die Rückkehr der 2015 mit fadenscheinigen „Rasensorgen“ davongejagten Vikings-Footballer ist – laut „Presse“-Informationen – für vorerst diese Saison fix, hilft. Und Fans betrieben seit Monaten Crowdfunding, über 10.000 Euro lägen bereit. Krisch sprach von einer „internationalen Sponsorengruppe“, die ante portas stünde, nannte aber keine Namen. Egal, bis 30. Juni 2018 soll Vienna zwar nicht wieder First, zumindest aber wieder in sicheren Gewässern unterwegs sein. Wenn es Richter und Gläubiger denn ab heute zulassen.

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