Peter Schnedlitz: "Nur die Programmierer haben Geld verdient"

Das Amazon-Lieferservice Fresh für frische Lebensmittel schreibt nur Verluste, sagt Peter Schnedlitz.
Das Amazon-Lieferservice Fresh für frische Lebensmittel schreibt nur Verluste, sagt Peter Schnedlitz.(c) REUTERS
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Handelsforscher Peter Schnedlitz hält das Onlinegeschäft mit Lebensmitteln für stark überschätzt. Supermärkte sollten Amazon - noch - nicht fürchten.

Die Presse: Spar startete im Vorjahr seinen Onlineshop – 17 Jahre nach Billa. Da fragte man sich: Hat er etwas verschlafen oder richtig gemacht?

Peter Schnedlitz: Fakt ist: Der Onlinehandel mit Lebensmitteln hat bis jetzt keine Bedeutung erlangt. Der Umsatzanteil liegt deutlich unter einem Prozent. Der wichtigste Grund ist, dass wir mit 6000 Geschäften ein sehr dichtes Supermarktnetz haben. In 15 Minuten ist der Kunde bei allen Anbietern. In Frankreich fährt man zum nächsten Laden teilweise 20 Kilometer.

Also war Spar rechtzeitig dran?

Alle, die früher angefangen haben, haben Geld verbrannt. Der Versandhandel, der die Waren zu entlegenen Kunden, etwa in die Obersteiermark, bringen wollte, ist umso obsoleter geworden, umso näher die Geschäfte zum Kunden gerückt sind. Ich warne aber, das Filialnetz noch dichter zu knüpfen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist Österreich „over-stored“.

Wenn man die Marktführer Rewe und Spar fragt, ist keine Rede vom Ende der Expansion.

Das ist Taktik. Und ich möchte die Bedeutung von Online nicht kleinreden: Auch ein zukünftiger Umsatzanteil von vier Prozent ist etwas. Das Loch, das die Quelle-Pleite 2009 hinterließ, muss gefüllt werden. Aber ich fühle mich immer mehr in meiner Theorie bestätigt: Je erfolgreicher der Onlinehändler werden will, desto ähnlicher muss er den klassischen Lebensmittelsupermärkten werden. Sie können von Leipzig nicht frische Gurken nach Mureck in der Steiermark liefern.

Gibt es Lösungen?

Amazon hat selbst keine. Das hoch gelobte Amazon Fresh (sein Lieferservice für frische Lebensmittel, Anm.), das nach Österreich kommen soll, schreibt nur Verluste. Die Lösung wäre eine Kooperation mit einem bestehenden Lebensmittelhändler.

Dann könnte es für die anderen wirklich gefährlich werden?

Ja, darum geht Amazon Kooperationen in Europa ein, etwa in England mit Morrisons. Die Knochenarbeit macht der Händler. Amazon will sich mit der Ware nicht anpatzen, sondern 15 Prozent Vermittlungsprovision kassieren. Angeblich gibt es in Deutschland Gespräche mit Degut. Der Durchbruch hierzulande wäre es, wenn Amazon eine Kette wie Rewe oder Hofer übernimmt. Aber was soll sie dazu veranlassen? Die Aldi-Gruppe wächst genauso schnell.

In Seattle agiert Amazon selbstständig und eröffnete seinen ersten Supermarkt ohne Personal.

Dieses Konzept wurde von der Metro-Gruppe vor zehn Jahren als „Metro Future Store“ präsentiert.

Wieso hat das nicht funktioniert?

Weil die Menschen am Ende des Tages bei Menschen einkaufen wollen, nicht bei Automaten.

Kommt die Personaleinsparung nicht den Händlern entgegen, die den Fachkräftemangel beklagen?

Es ist sicher eine Option. Schauen Sie sich die Selbstbedienungskassen bei Billa oder Spar an. Aber ab drei Artikeln geht es bei der normalen Kassa schneller. Der Kunde ist eben keine gelernte Kassafrau.

Und Zukunftsszenarien wie die Zustellung per Drohne?

In Graz testet Amazon Zustellungen im 500-Meter-Radius. Eltern, die ihren Kindern zu Weihnachten Drohnen gekauft haben, wissen, dass das nicht die Zukunft ist, weil sie meistens schon im Garten abgestürzt sind. Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn das ernsthafte Bedeutung hätte: Hunderttausende Drohnen würden über Wien fliegen. Bei den Spekulationen spielen rechtliche Argumente offenbar keine Rolle: Wer haftet, wenn die Drohne jemandem ein Packerl auf den Kopf fallen lässt? Wie wird die Kühlkette eingehalten?

Wieso reden wir dann so viel darüber?

99 Prozent dieser Räubergeschichten fallen unter Werbung. Das Schlimmste, das Amazon passieren kann, ist vergessen zu werden. Amazon ist in 14 Ländern, dort muss es ein Schweinegeld für Werbung ausgeben. Das ist wie beim Otto-Versand: Als die Leute nicht mehr den Katalog vor sich liegen hatten, haben sie ihn vergessen.

Glauben Sie wirklich, Amazon muss Angst haben, vergessen zu werden?

Das nicht gerade. Aber sein Durchbruch liegt trotzdem nicht in der Eröffnung eines einzigen Supermarkts oder Buchgeschäfts, für das er so viel Echo bekommt.

Was verändert sich bei all dem für die Mitarbeiter?

Simpel gesagt: Aus Angestellten an der Kassa werden Lagerarbeiter. Das erste Mal in der Geschichte gibt es einen Rückschritt. Amazon hat in Österreich zehn, zwanzig Mitarbeiter, Rewe 40.000. Diese Relationen werden falsch eingeschätzt. Bei uns gibt es wenige, die mit dem Onlinevertrieb gute Umsätze machen. Das fließt ins Ausland, zu Amazon, Zalando, H&M.

Wie viel bleibt in Österreich?

Die 250 größten Firmen machen drei Mrd. Euro Umsatz. Fast alles fließt nach Deutschland. Die Wirtschaftskammer wollte die Firmen vor zehn Jahren in Onlineshops hetzen – aber nur die Programmierer haben damit Geld verdient.

Ein Händler ohne Homepage gilt aber als veraltet.

Der Druck ist da, aber die Ergebnisse sind bescheiden. Ich lade jeden ins beste Restaurant Wiens ein, der mir ein mittelständisches Unternehmen zeigt, das mit seinem Onlineumsatz eine Familie erhält. Nicht falsch verstehen: Das Ganze hat enormes Potenzial. Aber verstaubte Händler, die seit zehn Jahren keinen Gewinn machen, retten sich nicht mit einem Onlineshop.

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Wirtschaft Wissenschaft Unplugged
ist eine Kooperation von „Presse“, WU und Erste Group. Am 15. März (18 Uhr) diskutieren Rewe-International-Chef Frank Hensel und Handelsforscher Peter Schnedlitz über „360° Handel – Perspektiven auf den Marktplatz der Zukunft“ auf dem Campus WU.

diepresse.com/unplugged

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2017)

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