Schneehysterie legt Amerika lahm

Der Times Square in Weiß: Der Wintersturm „Stella“ ließ in New York die Schneeflocken wirbeln. Doch es war alles halb so schlimm.
Der Times Square in Weiß: Der Wintersturm „Stella“ ließ in New York die Schneeflocken wirbeln. Doch es war alles halb so schlimm.(c) APA/AFP/JEWEL SAMAD (JEWEL SAMAD)
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Mehr als 70 Mio. US-Bürger erleben derzeit einen späten Wintereinbruch. Tausende Flüge wurden gestrichen, Schulen blieben geschlossen. Der angekündigte Monstersturm kam aber nicht.

Washington. Reiseverbote waren in den USA in jüngster Zeit häufiger im Gespräch – doch am Dienstag traf es die Amerikaner selbst: Wegen eines herannahenden Wintersturms wies der Bundesstaat Connecticut seine Bürger an, sich nicht von der Stelle zu rühren. Eine Sturm- und Schneefront namens „Stella“ zog von der Hauptstadt Washington die Ostküste hinauf bis zur kanadischen Grenze, führte zur Absage des USA-Besuches der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und bescherte Millionen von Schülern und Studenten einen freien Tag. Da die Auswirkungen des Sturms jedoch weniger dramatisch waren als befürchtet, wurde Kritik an einer angeblichen Überreaktion der Behörden laut.

In Washington beginnt um diese Jahreszeit bei oft frühlingswarmem Wetter eigentlich die Kirschblüte, doch diesmal könnten die Blüten im Frost erfrieren. Nach einem ungewöhnlich milden Winter lud der Sturm „Stella“ in der Nacht zum Dienstag und am Morgen im amerikanischen Nordosten mancherorts einen halben Meter Schnee ab. Bundesbehörden in der Hauptstadt erlaubten ihren Mitarbeitern später ins Büro zu kommen oder von zu Hause aus zu arbeiten. Tausende Flüge wurden annulliert – auch der Jet von Kanzlerin Merkel, die am Dienstag mit Präsident Donald Trump im Weißen Haus zusammentreffen wollte, startete nicht. Das Gespräch soll an diesem Freitag nachgeholt werden.

Hamsterkäufe in New York

Weil sich der aus dem Norden heranziehende Sturm an der Ostküste mit einem anderen Niederschlagsgebiet vereinigte, riefen die Behörden zunächst für mehr als 30 Millionen Menschen, darunter für die Bewohner von New York, eine Blizzard-Warnung aus. Weitere 40 Millionen Menschen in den Ballungsgebieten am Atlantik waren ebenfalls von dem Sturm betroffen.

In New York stürmten die Menschen nach den Warnungen der Behörden am Montag die Supermärkte, um sich für alle Fälle mit Proviant einzudecken; Bürgermeister Bill de Blasio sprach von einem „sehr ernsten Blizzard“, der auf die Stadt zurolle. Die „New York Times“ versorgte ihre Leser mit Tipps für Filme, Bücher und Kochrezepte für den Schneetag zu Hause. In Boston stellte die Stadtverwaltung 36.000 Tonnen Streusalz bereit. Mehrere Bundesstaaten riefen den Notstand aus.

Aus Pennsylvania, wo die Behörden von einer lebensgefährlichen Lage sprachen, und anderen Gebieten wurden am Dienstag Schneehöhen von 50 Zentimetern und mehr gemeldet. Von Delaware im Süden bis Massachusetts im Norden erwarteten die Küstengebiete heftige Sturmfluten mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern. Rund 100.000 Menschen in Virginia und Maryland waren ohne Strom.

In US-Medien war deshalb von einem „Monster-Sturm“ mit rekordverdächtigen Schneefällen eine Woche vor dem meteorologischen Frühlingsanfang die Rede, doch im Verlauf des Vormittags zeigte sich, dass „Stella“ nördlich von Manhattan vorbeizog und die am dichtesten besiedelten Gebiete der USA verschonte.

Kritik an überzogener Warnung

Im Internet wurde deshalb noch vor Mittag viel Kritik an den Behörden laut. „Wo ist denn der Sturm?“ fragten Twitter-Nutzer. Der rechtspopulistische Kommentator Matt Drudge warf dem nationalen Wetterdienst ein völliges Versagen vor. Drudge vermutet, dass „Stella“ benutzt werden soll, um die Amerikaner von der Existenz des Klimawandels zu überzeugen. Es sei „lächerlich“, wenn der Kennedy-Flughafen in New York wegen ein paar Zentimeter Schnee geschlossen werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2017)

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