Ein Teufel im Leib

Wer in Davos im Luxus kurte, hatte wohl in Opernhäusern laut über Mimi geschluchzt – hier: Anna Netrebko – und verdeckt dazu gehüstelt.
Wer in Davos im Luxus kurte, hatte wohl in Opernhäusern laut über Mimi geschluchzt – hier: Anna Netrebko – und verdeckt dazu gehüstelt. (c) APA/Wiener Staatsoper GmbH
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Fast zwei Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Tuberkulose. Die WHO erinnert mit einem Gedenktag daran, dem 24. 3. Viel mehr kann sie nicht tun.

Sie wären der erste, der bei einer Untersuchung in Davos nicht irgendeine ,Stelle‘ gehabt hätte. Kommen Sie nur gleich zurück. Sie haben in Davos gar nichts zu suchen.“ Das stand in einem Brief, den Thomas Mann 1912 von seinem Hausarzt erhielt, er hatte sich aus dem Kurort an ihn gewandt, dort besuchte er seine Frau Katia, die wollte in der Luft und im Licht der Schweizer Berge eine drohende Tuberkulose abwehren. Sie war nicht die Einzige, die Kuranstalten beherbergten 25.000 Patienten, das Leiden grassierte, auch unter Begüterten, die in Opernhäusern über Kameliendame und Mimi laut schluchzten und bisweilen verdeckt dazu hüstelten.

Diese Klientel war hoch willkommen, in Luxusetablissements, aus denen man – außer durch Exitus – schwer hinauskam, solange man bezahlen konnte. Um so leichter ging es hinein: Mann war erkältet und konsultierte den behandelnden Arzt seiner Frau, der diagnostizierte verdächtige Stellen auf der Lunge und empfahl, was Davos zu bieten hatte: Nichtstun: Die Patienten ruhten in Liegestühlen, Stunden, ansonsten wurde geschlemmt, im „Zauberberg“ ist es Gang für Gang bilanziert.

Mehr konnte man nicht tun gegen das Leiden, bei dem vieles im Dunkeln liegt, etwa, seit wann es die Menschen plagt: Genetiker schätzen Millionen Jahre, Epidemiologen setzen auf die Zeit, in der die Menschen die Agrikultur erfanden und sesshaft wurden, das war vor 11.000 Jahren. Aber 2007 zersägte ein Steinmetz in der Türkei einen 500.000 Jahre alten Travertin – das ist ein Kalkstein –, er erblasste: Im Stein steckte eine Schädeldecke. Zu Hilfe gerufene Spezialisten aus den USA fanden in dem Knochen Abdrücke, die auf eine Hirnhautentzündung durch Tb deuteten (Am. J. Phys. Anthr. 135, S. 110).

Das war natürlich nur ein Hinweis, erste direkte Spuren kamen vor 9000 Jahren. Aber der frühe mögliche Fall gibt einen Wink auf das, was in Davos wohltat, die Sonne: Der 500.000 Jahre alte Mensch kann nur ein Homo erectus gewesen sein, der war schwarz, er kam aus der sengenden Sonne Afrikas, da hatte er seine Haut geschützt.

Im milderen Licht der Türkei konnte er darin nicht genug Vitamin D bilden, und dessen Zusammenhang mit Tb zeigt sich früh: 1882 hatte Robert Koch den Erreger identifiziert – Mycobacterium tuberculosis –, 1905 erhielt er den Nobelpreis dafür. Zwei Jahre zuvor war der Däne Niels Ryberg Finsen geehrt worden, ihm war aufgefallen, dass Sonnenlicht viele Leiden lindert, auch Tb. Der Mechanismus wurde erst 2006 geklärt, von Robert Modlin (UC Los Angeles): Licht bringt eine molekulare Kaskade in Gang, die eine Abteilung des Immunsystems stärkt, die der antibakteriellen Peptide. Aber alles Licht hilft nichts, wenn die Haut zu dunkel ist, es zu nutzen, auch das zeigte Modlin: Afroamerikaner leiden häufiger an Tb als Weiße, das hat nicht nur soziale Gründe (Science 311, S. 1770).


Wenig wirksame Impfung. Licht also half, dann kam lange nichts, ein von Koch entwickelter Wirkstoff versagte, auch ein 1912 entwickelter Impfstoff wurde – mangels eines anderen – zwar fast das gesamte Jahrhundert über verabreicht, war aber so schwach und riskant, dass etwa in Deutschland das Impfen 1998 eingestellt wurde.

Da hatte man längst andere Waffen, die eine Zeitlang Entlastung brachten, Antibiotika. Aber die müssen über Monate genommen werden, und der Erreger entwickelt Resistenzen. Beides liegt daran, dass diese Bakterien sich extrem langsam teilen, und dass die meisten es so gut wie nie tun: Thomas Mann hatte keine Tb, seine Frau auch nicht, das stellte sich später heraus. Aber ihren Erreger hätten sie mit einiger Wahrscheinlichkeit haben können: Jeder dritte Mensch hat ihn, heute also: 2,5 Milliarden.

2,5 Milliarden Tb-Kranke? Nein, das Bakterium wird meist nicht aktiv, sondern „schläft“, in befallenen Zellen des Immunsystems, Makrophagen in der Lunge. Erwachen kann es jederzeit, es tut das in den Armenhäusern der Erde und dort, wo alles drunter und drüber geht – Vegard Eldholm (Oslo) hat eben rekonstruiert, wie erst der sowjetische Einmarsch in Afghanistan und dann der der USA zur Ausbreitung beitrugen (Pnas 113, S. 13881) –, es tut es auch bei geschwächtem Immunsystem: An HIV stirbt niemand, aber wer es hat, stirbt häufig an Tb. – All das summierte sich auf 10,4 Millionen Erkrankte und 1,8 Millionen Tote 2016, und so ähnlich geht das Jahr für Jahr. In ihrer Not hat die Weltgesundheitsorganisation WHO 1996 einen Welttuberkulosetag ausgerufen – den 24. März, an einem davon hatte Koch den Erreger entdeckt –, viel mehr kann sie nicht tun, das Interesse der Pharmaindustrie an Patienten, an denen kaum etwas zu verdienen ist, hält sich heute so in Grenzen wie einst in Davos.

Geforscht wird doch, es kommen immer neue Ideen für Impfstoffe oder die generelle Stärkung der Immunabwehr. Und bisweilen bemerkt man Frappantes an dem doch altbekannten Leiden: Tb widersteht dem Immunsystem oft nicht nur, es nützt es auch für seine Zwecke, ist partiell eine Autoimmunkrankheit: Die sorgt dafür, dass die Abwehr befallenes Gewebe in der Lunge angreift, die Reste werden ausgehustet, der Erreger ist mit dabei (Trends in Immunology 12, S. 815). Das fiel Paul Elkington (Southampton) letzten Oktober auf, nun kommt er mit einer Revolution der Methode: Er hat Erreger so in Biomaterial eingekapselt, wie die das im Körper selbst tun, damit lassen sie sich nicht nur in der Petrischale analysieren wie bisher, sondern dreidimensional (mBio 7. 2.)

Das ist Caroline Barisch (Genf) auf einem unorthodoxen Weg eben auch gelungen: Sie nutzte die Ähnlichkeit von Makrophagen und Amöben – und infizierte die mit dem Bakterium, das Fischen Tb bringt, es ist dem des Menschen eng verwandt. In dem Modell zeigte sich, wovon „schlafende“ Bakterien sich ernähren, ein bisschen etwas brauchen sie schon: Fett (PLoS Pathogens 19. 1.). Nun sucht Barisch nach Wegen, die Versorgung zu unterbinden und die Bakterien auszuhungern.

Dergleichen drohte Thomas Mann nicht, wenn er mit Katia in der Kuranstalt tafelte. Lange tat er das nicht, er hielt sich an den Rat seines Hausarztes und reiste untherapiert und so gesund, wie er gekommen war, wieder ab, als er genug Material gesammelt hatte. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2017)

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