Die ewige Zukunftshoffnung

Ein letzter Auftritt mit Giraffe: Reinhold Mitterlehner am Mittwochvormittag im Zoo Schönbrunn.
Ein letzter Auftritt mit Giraffe: Reinhold Mitterlehner am Mittwochvormittag im Zoo Schönbrunn.(c) Mirjam Marits
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Reinhold Mitterlehner wurde in der ÖVP und der Wirtschaftskammer groß. Trotzdem ist er am Ende an den Bünden, den Landeshauptmännern und den „Parteifreunden“ gescheitert.

Wien. Ganz am Schluss, als es schon egal war, fand Reinhold Mitterlehner seinen Sarkasmus wieder, mit dem er jahrelang vor allem kleine Runden unterhielt. Er sei, meinte er bei seinem gestrigen Abschiedsauftritt, der 16. Parteiobmann der ÖVP, der sein Amt zur Verfügung stelle. „Ich fühle mich der Tradition verpflichtet“, kommentierte er. Und kurz später mit Hinweis darauf, dass die Volkspartei in zehn Jahren vier Obmänner verbraucht hat: „Es kann ein qualitatives Problem sein der jeweiligen Führungskraft, könnte aber auch ein strukturelles Problem sein.“

Natürlich waren es auch bei Mitterlehner wieder die „Strukturen“ der ÖVP in Gestalt der Parteifreunde, für die man die Steigerung „Feind, Erzfeind, Parteifreund“ erfunden zu haben scheint. Himmelhoch jauchzend mit 99,1 Prozent hatten sie ihn am 8. November 2014 zum Parteichef gemacht, zu Tode betrübt waren die ersten internen Kritiker schon ein halbes Jahr später, als Mitterlehner das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU befürwortete.

Gemeinderat in Ahorn

Selbst er, der in der Partei groß geworden ist – angefangen hat er 1991 als einfaches Mitglied im Gemeinderat der 490-Seelen-Gemeinde Ahorn in Oberösterreich –, ist an den unterschiedlichen Interessen der Bünde, am Egoismus der Landeshauptleute, die sich ungern von Wien etwas sagen lassen, und an der generellen Liebe der ÖVP zur Selbstzerfleischung gescheitert.

Schon kurz nach seiner Bestellung zum Generalsekretär des Wirtschaftsbundes 1992 erlebte Mitterlehner die chaotische Ablöse des damaligen Parteichefs Erhard Busek. Vier weitere Obmänner sah er kommen und gehen, bevor er sich nach dem Rücktritt von Michael Spindelegger an die Spitze hieven konnte.

Eigentlich galt er bereits 2011 als potenzieller Nachfolger von Josef Pröll, der die Obmannschaft aus gesundheitlichen Gründen zurückgelegt hatte. Doch damals trauten sich die Parteigranden noch nicht über den – für ÖVP- Verhältnisse – unkonventionellen Mitterlehner. Königsmacher Erwin Pröll orchestrierte von St. Pölten aus die Krönung des berechenbareren Michael Spindelegger. Mitterlehner blieb, was er in der Partei seit vielen Jahren war: die Zukunftshoffnung. Bis zuletzt. Beweisen konnte er sein politisches Talent bei Wahlen nie.

Als Spindelegger genervt von der Partei 2014 aufgab, schlug Mitterlehners Stunde. Dass er den Job als Parteichef und Vizekanzler kann, davon war vor allem er selbst überzeugt. An Selbstbewusstsein, das für manche schon an Arroganz grenzte, mangelte es ihm jedenfalls nicht. Intern hatte er schon in der Vergangenheit lautstark über Strategie- und Kommunikationsfehler von Parteizentrale und Obmann geschimpft. Dass er es nicht öffentlich tat, passt zu seiner Persönlichkeit. Auch seine Freundschaften beruhten auf Sympathie, weniger auf Berechnung. Dass sich das in den vergangenen Monaten geändert hat und Mitterlehner eine Front gegen Sebastian Kurz aufmachte, dürfte Überlebenstrieb gewesen sein.

Als der 61-Jährige vor drei Jahren die ÖVP übernahm, setzte die Partei zum – kurzen – Höhenflug an. Mitterlehner brachte frischen Wind und konnte neben dem farblosen SPÖ-Chef und Bundeskanzler, Werner Faymann, glänzen. Als „Django“ vermarkteten ihn die Parteistrategen, sein „Couleur“-Name in der Studentenverbindung „Mühlgau“. Es gab seither genug Gelegenheit, das zu bedauern – bis hin zur „ZIB 2“ am Dienstag mit dem Hinweis auf den Film „Django – Die Totengräber warten schon“.

Große Leidensfähigkeit

Gut möglich, dass das den Ausschlag für den Rücktritt gab. Mitterlehner blieb auch in der Spitzenpolitik in bestimmten Dingen dünnhäutig und konnte sich über manche Kritik heftig aufregen.

Bemerkenswert an seinem Rücktritt ist, dass er erst gestern erfolgt ist. Viele hatte die Leidensfähigkeit Reinhold Mitterlehners gewundert. Seit seinem Amtsantritt wurde Kurz immer wieder als Spitzenkandidat für die nächste Nationalratswahl gehandelt, Parteifreunde bezeichneten Mitterlehner öffentlich indirekt als Platzhalter, als sie etwa meinten, Kurz sei das Trumpfass im Ärmel.

Was Mitterlehner in Zukunft machen wird, darüber gibt es noch nicht einmal Gerüchte. Er hat jetzt auf jeden Fall Zeit für seine geliebten Radausflüge durchs Mühlviertel und den anschließenden Besuch im Wirtshaus, wo er mit Freunden Tarock spielt. „Django“ nennt ihn dort niemand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2017)

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