Tumulte in Brasilia: Agrarministerium brennt

Die Demonstranten verlangen Neuwahlen und das Ende der von Temer verordneten Kürzungspolitik.
Die Demonstranten verlangen Neuwahlen und das Ende der von Temer verordneten Kürzungspolitik. REUTERS/Adriano Machado
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Eine Großkundgebung gegen Brasiliens Präsidenten Michel Temer lief aus dem Ruder. Die Polizei setzt Tränengas ein, um einen Sturm auf den Kongress zu verhindern.

Bei Protesten gegen Brasiliens Präsidenten Michel Temer haben aufgebrachte Demonstranten Feuer im Agrarministerium gelegt und in weiteren Ministerien für Verwüstungen gesorgt. Schwarze Rauchwolken standen über dem Regierungsviertel in Brasilia, nach Angaben der Polizei hatten sich 35.000 Menschen dort versammelt. Die Polizei setzte Tränengas ein, mehrere Ministerien wurden evakuiert.

Verteidigungsminister Raul Jungmann sagte, Präsident Temer habe den Einsatz das Militärs angeordnet, um Regierungsgebäude zu schützen. Als das in der laufenden Kongresssitzung bekannt wurde, kam es zu tumultartigen Szenen und Handgreiflichkeiten, die Opposition um die linke Arbeiterpartei warf Temer eine Eskalation und Militarisierung vor. Insgesamt sollen in Brasilia 1500 Soldaten eingesetzt werden. Die Demonstranten fordern Temers Rücktritt und rasche Neuwahlen. Rund 30 Menschen sollen Berichten zufolge verletzt worden sein.

Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Lage am Mittwochabend (Ortszeit) - aber für Temer wird die Lage immer brenzliger. Tasso Jereissati, Interimschef der Sozialdemokraten (PSDB), des größten Koalitionspartners, vermied ein Bekenntnis zu dem durch einen neuen Korruptionsskandal schwer in Bedrängnis geratenen Politiker.

Temer, der "Putschist"

Die Proteste in Brasilia waren die heftigsten seit langem. Überall gab es kleine Feuer, viele Scheiben in Ministerien gingen zu Bruch, die Polizei setzte Tränengas ein. In der von dem Architekten Oscar Niemeyer geplanten Hauptstadt sind alle Ministerien und der Kongress rund um eine große Fläche, die Esplanada dos Ministerios, angeordnet, auf der sich die Menschen versammelten und "Temer raus" skandierten.

Aufgerufen zu den Protesten hatten Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Temer hatte 2016 die des Amtes enthobene linke Präsidentin Dilma Rousseff abgelöst - er hatte sich als ihr Vizepräsident mit der Opposition verbündet und so die notwendigen Mehrheit für die Absetzung erreicht. In sozialen Netzwerken war die Rede davon, dass sich der "Putschist" nun auf das Militär stütze.

Der Protest richtet sich auch gegen eine Reform, die eine Ausweitung von Arbeitszeiten, Beschneidung der Mitsprache von Gewerkschaften und die Zahlung von Kosten bei Arbeitsprozessen durch die Angestellten vorsieht. Als "Brandbeschleuniger" der Proteste gegen den 76-Jährigen wirkte aber ein letzte Woche publik gewordener Mitschnitt.

Temer soll Wahlspenden hinterzogen haben

Dabei geht es um ein Gespräch zwischen Temer und dem Besitzer des weltgrößten Fleischkonzerns JBS, Joesley Batista, der heimlich alles aufgezeichnet hatte. JBS soll über Jahre Politiker bestochen haben - Batista zahlte 65 Millionen Euro in einem Vergleich und packte aus.

Die Aufnahmen nähren den Verdacht von Schweigegeldabsprachen, damit Ex-Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der bereits im Gefängnis sitzt, nicht sein Wissen über das ganze Korruptionsnetzwerk preisgibt. Temer soll zudem für seine letzte Wahlkampagne von JBS 15 Millionen Reais (4,2 Mio Euro) erhalten und eine Million (280.000 Euro) davon in die eigene Tasche gesteckt haben. Temer lehnt einen Rücktritt ab, aber es kursieren bereits Nachfolgekandidaten wie Joaquim Barbosa, der der erste afrobrasilianische Präsident des Obersten Gerichtshofs war.

Temers Schicksal hängt derzeit vor allem an der Entscheidung seiner Koalitionspartner. Der neuntgrößten Volkswirtschaft droht durch den Skandal eine Hängepartie, zu einem Zeitpunkt, wo man langsam die tiefe Rezession überwindet - seit 2015 brach die Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent ein. 13,5 Millionen Menschen sind arbeitslos. In Städten wie Rio de Janeiro haben Gewalt und Unsicherheit stark zugenommen.

Staunen über JBS-Skandal

Nach den Korruptionsskandalen um den Ölkonzern Petrobras und den Baukonzern Odebracht staunen viele nun über den JBS-Skandal. Das Unternehmen soll in den letzten Jahren rund 500 Millionen Reais (137 Mio Euro) an Parteien und Politiker gezahlt haben: darunter an drei Präsidenten und 167 Abgeordnete. Im Gegenzug bekam JBS unter anderem günstige Kredite der staatlichen Förderbank BNDES und konnte so im Ausland Fleischkonzerne aufkaufen. Der Umsatz stieg binnen zehn Jahren von 4 auf 170 Milliarden Reais (rund 46,5 Mrd. Euro) im Jahr.

(APA/dpa)

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