Ein Tag wie kein anderer

Feinsinnig, elegant, wortgewandt: der britische Autor Graham Swift.
Feinsinnig, elegant, wortgewandt: der britische Autor Graham Swift.(c) Janus van den Eijnden
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Graham Swift schrieb mit „Ein Festtag“ einen eindringlichen Roman über Liebe, Verlust und Aufbruch. Ein Buch, dazu gedacht, in einem Atemzug gelesen zu werden.

Es ist eine Tatsache: Anglophile Europäer (und nicht nur sie) tun sich schwer, den Engländern den Brexit zu verzeihen. Da braucht es schon besondere Vermittler, um wieder an das Gute in den Briten zu glauben. Vermittler wie den Schriftsteller Graham Swift: feinsinnig, elegant, wortgewandt, unprätentiös. Alle diese Eigenschaften setzt Swift in seinem jüngsten Roman, „Ein Festtag“, brillant in Szene. Hypnotisiert folgt man ihm durch eine betörende frühsommerliche englische Landschaft, mäandert zwischen „Brideshead“ und „Downton Abbey“. Doch die Idylle ist trügerisch, hinter den Blauregen-geschmückten Steinfassaden der Herrenhäuser lauern Trauer und Verlust.

Besonders fröhlich geht es auf den benachbarten Herrensitzen Beechwood und Upleigh aber ohnedies nicht zu. Man schreibt den 30. März 1924, den englischen Muttertag. Für viele Mütter ist dieser Tag allerdings schon lang kein Freudentag mehr, denn viele ihrer Söhne blieben auf den Feldern von Flandern liegen, einem der „killing fields“ der europäischen Weltkriegsgeschichte. Nur ein Bruchteil der männlichen Generation ist noch am Leben, um ihre Mütter an diesem Tag zu ehren. Das gilt auch für die Familie Niven, die beide Söhne an den Krieg verloren hat, sowie für die benachbarte Familie Sheringham, denen zwei von drei männlichen Nachkommen genommen wurden.

Auch Jane Fairchild, das 22-jährige Dienstmädchen der Nivens, hat als Vollwaise keine Mutter, die es an dem Tag besuchen könnte. Dafür aber hat Jane Paul Sheringham, den Erben von Upleigh, mit dem sie seit mittlerweile sieben Jahren ein geheimes Verhältnis hat. Doch auch diese an Freundschaft grenzende Affäre neigt sich ihrem Ende zu, denn Paul wird in wenigen Wochen standesgemäß verheiratet. Einen letzten gemeinsamen Tag allerdings gibt es für die beiden jungen Leute: Paul ist allein zu Hause, und ehe er seine Verlobte zum Essen trifft, lädt er Jane an diesem schönen Tag zu sich ein, bittet sie zum ersten Mal durch die Vordertür und in sein Bett und verbringt mit ihr einen letzten Vormittag, ehe sie sich für immer trennen werden. Die junge Frau bekommt an diesem Tag eine Ahnung davon, wie Aschenputtel sich gefühlt haben mag, als die Türen zum Ballsaal aufgingen. Dass am Ende eine Katastrophe wartet, ahnt sie nicht.

Hälfte des Ichs. Jane erzählt ihre Geschichte in „Ein Festtag“ selbst, allerdings in der dritten Person. Dabei tritt sie als zwei Hälften ihres Ichs auf: als junges Dienstmädel, das sich den ultimativen Tabubruch leistet, ein leeres Herrenhaus in Besitz zu nehmen, sinnlich und selbstbewusst. Und als die 90-jährige erfolgreiche Schriftstellerin Jane Fairchild, die sie später werden soll und die für die Öffentlichkeit auf ihr Leben zurückblickt.

Graham Swift (68) zählt zu den bekanntesten zeitgenössischen Schriftstellern Großbritanniens, gehört der Generation von Salman Rushdie und Kazuo Ishiguro an. Für „Wasserland“ und „Letzte Runde“ heimste er zahlreiche Preise ein. „Ein Festtag“ ist Swifts kürzester Roman, rasant geschrieben und dazu gedacht, in einem Atemzug gelesen zu werden. Etwas anderes würde wohl auch kaum jemandem in den Sinn kommen.

Neu erschienen

Graham Swift
Ein Festtag.
Übersetzt von Susanne Höbel
dtv Verlag
144 Seiten
18,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2017)

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