Evolutionstheorie: Urmenschen spalten Serbien

Gezeichnetes Porträt des Naturforschers Charles Darwin
Gezeichnetes Porträt des Naturforschers Charles Darwin Imago
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Eine breite Initiative will den Ersatz von Darwins Lehre in Schulbüchern durch die biblische Schöpfungsgeschichte. Aufgeklärte Kritiker werden behördlich bedrängt.

Ausgerechnet eine oftmals als rückständig belächelte Weltregion kam dieser Tage überraschend in den Verdacht, sie, und nicht wie bisher angenommen Ostafrika, könnte die Wiege der Menschheit gewesen sein: Laut Wissenschaftlern der Universität Tübingen (Deutschland) deuteten Knochen- und Zahnfunde in Bulgarien und Nordgriechenland darauf hin, dass sich die Entwicklungslinien von Affe und Mensch auf dem Balkan getrennt hätten („Die Presse“ berichtete am 23. Mai). Man will durch die Funde eine neue Hominidenart, Graecopithecus freybergi,identifiziert haben, die vor 7,2 Millionen Jahre existiert haben soll. Das wäre sogar noch ein wenig früher, als es die herrschende Lehre für den Schauplatz Ostafrika (speziell Tansania, Äthiopien, Kenia) annimmt.

Die Forscher erwarten nach eigenen Angaben „heftige Reaktionen“, „viel Widerspruch“ und geben zu, dass die Indizienlage noch dünn sei. Und tatsächlich kommt Stolz über die neuen „Affenmenschen vom Balkan“ in der streitbaren Vielvölkerregion keineswegs bei allen Heutigen auf: Engagiert streitet nämlich in Serbien eine Initiative rechtsklerikaler Intellektueller gegen die Lehre der Evolutionstheorie in Schulbüchern.

„Werk von Globalisten und Atheisten“

„Globalisten und Atheisten, die heute in der Welt die einflussreichsten Positionen einnehmen, finanzieren die Verbreitung der Evolutionstheorie“, wird in einer kürzlich veröffentlichten, von 166 serbischen Professoren, Wissenschaftlern, Ärzten und Geistlichen unterzeichneten Petition beklagt, die die Einführung der Lehre der biblischen Schöpfungsgeschichte im Unterricht fordert.

Die im Gefolge einer mehrjährigen Weltreise in den 1830er-Jahren entstandene These des englischen Naturforschers Charles Darwin (1809–1882), wonach sich jede Tier- und Pflanzenart durch natürliche Selektion im Lauf langer Zeiträume verändere, alle Lebewesen letztlich in gemeinsamen Vorfahren wurzelten und somit auch Menschen und Affen gemeinsame Ahnen gehabt haben müssten, sei eine „Beleidigung für alle Gläubigen“, nicht nur die der serbisch-orthodoxen Kirche – so erklärt etwa die frühere Erziehungsministerin Ljiljana Čolić den von ihr unterstützten Feldzug gegen die heute allgemein anerkannte Evolutionstheorie.

Hexenjagd gegen Darwin-Verfechter

Die Darwin-Gegner wollten die Wissenschaft religiösen Überzeugungen unterordnen, kritisiert derweil nicht nur Serbiens Akademie der Wissenschaften den Vorstoß: Mehrere Soziologen haben ihn vielmehr als Ausdruck des „Erwachens“ eines rechtsgerichteten und ultrakonservativ-rückwärtsgerichteten Serbien gedeutet.

Ein Umschreiben der serbischen Schulbücher scheint vorläufig nicht zu drohen. Allerdings sehen sich Kritiker der bibelfesten Darwin-Gegner einer wahren Hexenjagd ausgesetzt, die sogar von staatlichen Kreisen außerhalb der Petitionsträger ausgeht: Gegen den Direktor von Serbiens Zentrum zur Förderung der Wissenschaft etwa wurde ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet, weil er den Erziehungsminister aufgefordert hatte, sich von den „pseudowissenschaftlichen“ Verlautbarungen der Initiative zu distanzieren. Bei der jüngsten Synode der serbisch-orthodoxen Kirche sollen Bischöfe laut Presseberichten ein Kesseltreiben gegen einen Kollegen entfacht haben, der es gewagt hat, einen Theologenaufruf gegen die Anti-Darwin-Initiative zu unterstützen.

Die Frage, wer vom Balkanmenschenaffen abstammt oder sich nun selbst zum Affen macht, ist für Spötter mit der Anti-Darwin-Kampagne beantwortet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2017)

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