Berlin und Ankara kommen nicht zusammen

Sigmar Gabriel und Mevlüt Çavuşoğlu.
Sigmar Gabriel und Mevlüt Çavuşoğlu.(c) APA/AFP/ADEM ALTAN
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Bundesaußenminister Sigmar Gabriel verhandelte in Ankara über die Nato-Luftwaffenbasis Incirlik. Sein Besuch legte die tiefe Kluft zwischen den beiden Ländern offen. Die Türkei rechtfertigt die Inhaftierung von Journalisten.

Istanbul. Selbst bei einem vollends gescheiterten Besuch wie dem von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Ankara trösten sich Diplomaten damit, dass auch Differenzen wichtige Erkenntnisse zutage fördern können. Bei Gabriels Visite am Montag bestanden diese in Einblicken in die Weltsicht einer türkischen Regierung, die überall Feinde sieht und die sich deshalb außenpolitisch immer weiter isoliert. Gabriel und sein Kollege Mevlüt Çavuşoğlu redeten bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz zwar über dieselben Themen – aber sie befanden sich in parallelen politischen Welten ohne Berührungspunkte. Der türkische Premier, Binali Yıldırım, sagte sein Treffen mit Gabriel gleich ganz ab.

Schon vor dem Besuch Gabriels machte die Türkei klar, dass Ankara eine allgemeine und dauerhafte Besuchserlaubnis für alle Mitglieder des Bundestags bei den deutschen Soldaten auf der südtürkischen Luftwaffenbasis Incirlik ablehnt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte die Linie vorgegeben: Denn einige Parlamentarier in Berlin unterstützten den Terrorismus, sagte er.

Asylverfahren dauern lange

Da Çavuşoğlu ebenfalls keinerlei Bewegung erkennen ließ, blieb Gabriel nichts anderes übrig, als den baldigen Abzug der rund 260 deutschen Soldaten mit ihren Aufklärungs- und Tankflugzeugen aus Incirlik zu verkünden: Unter den derzeitigen Umständen könne die Bundeswehr nicht auf dem Stützpunkt im Süden der Türkei bleiben. Die deutschen Soldaten sollen demnächst von Jordanien aus den internationalen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien unterstützen. Die Türkei lehnt insbesondere den Besuch linker Bundestagsabgeordneter in Incirlik ab, weil sie diesen Sympathien für die kurdische Terrorgruppe PKK vorwirft.

Außerdem verlangt Ankara die Auslieferung von Anhängern des Erdoğan-Erzfeindes Fethullah Gülen, die in Deutschland politisches Asyl beantragt haben. Für Erdoğan und ?avuşoğlu ist Gülen ein Putschführer und dessen Gefolgsleute Terroristen – für Berlin sind sie Flüchtlinge, deren Schutzersuchen genauso geprüft werden muss wie bei anderen Antragstellern auch. Das betrifft in Deutschland rund 450 türkische Diplomaten, Justizbeamte und Soldaten. Die Prüfung könne lange dauern, sagte Gabriel. Doch die Länge der Asylverfahren seien keine Geste gegen die Türkei.

Auch bei einem anderen deutsch-türkischen Streitpunkt – der Pressefreiheit – wurde bei Gabriels Besuch die tiefe Kluft deutlich. Die Führung in Ankara vermag in der Inhaftierung von mehr als 150 Journalisten, darunter des deutschtürkischen Korrespondenten Deniz Yücel und der deutschen Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu Çorlu, nichts Ungewöhnliches zu erkennen.

In jüngster Zeit, sagte Çavuşoğlu, sei bei europäischen Geheimdiensten die „Mode“ aufgekommen, ausländische Journalisten als Agenten einzusetzen. Wenn die Reporter dann festgenommen würden, werde mit dem Verweis auf die Pressefreiheit Druck auf die Türkei gemacht. Dass der Außenminister eines Nato-Staates und EU-Bewerberlandes einem Kollegen aus einem befreundeten Land öffentlich solche Sätze serviert, legt die Dimension der Entfremdung zwischen der Türkei und dem Westen offen.

Deutschland und andere Nato-Länder wollen verhindern, dass Erdoğan im kommenden Jahr als Gastgeber das Gipfeltreffen der Allianz ausrichtet. Über den Verlauf des Treffens von Erdoğan mit Gabriel am Montag gab es zunächst keine Informationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2017)

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