Nie gesehen, doch befreundet

Im Cyberspace entwickeln sich Freundschaften über Kontinente hinweg. Kann eine Freundschaft im virtuellen Raum von Dauer sein? ?

In dieser Freundschaft trifft man einander nicht schnell auf ein Getränk und plaudert über dies und das. Man geht auch nicht spontan am Abend ins Kino. Denn selbst wenn man zur gleichen Zeit am gleichen Ort wäre, würde man aneinander vorbeigehen. Man würde einander einfach nicht erkennen. Was soll das für eine Freundschaft sein? Es ist eine Freundschaft im sogenannten Cyberspace.

Begonnen hat sie exakt am 4. Juli 2005 im Internet. Genauer gesagt in einem Computerspiel. Noch genauer gesagt in „Star Wars Galaxies“ kurz „SWG“, einem Onlinerollenspiel. Damals feierte dieses Spielegenre seinen Höhepunkt, und Social Media steckten noch in den Kinderschuhen.

An besagtem 4. Juli trafen einander zum ersten Mal ein Engländer, eine Amerikanerin und ein Österreicher – alle drei im echten Leben Mitte dreißig – zufällig auf den weiten Wiesen des Planeten Naboo nahe Kadaara. Gemeinsam tauchten sie in die Faszination von „SWG“ und erkundeten das Spiel fast täglich gemeinsam. Irgendwann – nach ungefähr zwei Jahren – rückte das Spiel immer mehr in den Hintergrund. Die drei hatten darin so gut wie alles gesehen und erlebt. Sie teilten im Spiele-Chat viel mehr Privates: Sorgen, Erfahrungen, Ängste, Probleme und Freuden.

Schließlich gesteht die Amerikanerin dem Österreicher, dass sie sich in den recht introvertierten Engländer verliebt habe. Der Wiener spielt Amor und ermutigt den Briten, die selbstbewusste Frau aus Ohio zu besuchen. Im echten Leben auf dem Planeten Erde. Etwa ein Jahr später heiraten die beiden in Cleveland und ziehen kurz darauf nach Manchester.

„Star Wars Galaxies“ wurde Ende 2011 eingestellt, Social Media langsam erwachsen. Die austro-amerikanisch-britische Freundschaft währt aber noch bis heute, obwohl das Ehepaar in Großbritannien seinen Freund noch nie gesehen hat. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2017)

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