"Russland ist ein Pokerspieler"

UKRAINE-RUSSIA-CONFLICT-EAST
UKRAINE-RUSSIA-CONFLICT-EAST(c) APA/AFP/SERGEY VOLSKIY (SERGEY VOLSKIY)
  • Drucken

Militärexperten der Wiener Landesverteidigungsakademie präsentieren ein Nachschlagewerk zum Krieg in der Ukraine.

Wie hat die Ukraine-Krise die europäische Sicherheitsarchitektur verändert? Das war eine der Fragen, die Experten am Freitag bei der Präsentation des Sammelbandes „Gordischer Knoten Ukraine“ diskutierten. Das knapp 400 Seiten dicke Buch versteht sich als Nachschlagewerk zum Krieg in der Ostukraine. Es wurde vor Journalisten in der Wiener Landesverteidigungsakademie präsentiert.

Herausgegeben haben das Buch, das eine "gesamtstrategische Betrachtung" des Konflikts verspricht, Brigadier Walter Feichtinger und Christian Steppan, der am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie tätig ist. Die geopolitischen Rahmenbedingungen, die Konfliktentwicklung, die mediale Perzeption des Konflikts und widersprüchliche Narrative sowie persönliche Betrachtungen von Experten vor Ort bilden die vier Schwerpunkte des Bandes.

Feichtinger betonte die sicherheitspolitische „Zäsur“ der russischen Krim-Annexion. Seit der KSZE-Schlussakte von 1975 habe man sich in Europa aufeinander zubewegt und – trotz Widrigkeiten - an einer Stärkung des gegenseitigen Vertrauens gearbeitet. Doch nunmehr befände sich die Staatengemeinschaft in einem „Sicherheitsdilemma“: Das Vertrauen sei zerstört, die Gefahr einer erneuten Rüstungsspirale groß.

Europa "in der Defensive"

Im neuen Ost-West-Konflikt sieht Feichtinger Russland den Ton angeben. Die Europäer hätten dem außenpolitischen und militärischen Säbelrasseln Moskaus noch wenig entgegenzusetzen. Europa, so kritisiert der Brigadier, sei „in der Defensive“. Umso wichtiger sei es, dass die europäische Politik gemeinsame strategische Interessen definiere. Auch weil die USA unter Präsident Donald Trump unberechenbarer geworden sei.

Apropos Unberechenbarkeit. Diese Karte spielt auch Russland aus – etwa in seinen Beziehungen zum Baltikum und zu seinen anderen unmittelbaren Nachbarn. Mit Russlands militärischem Drohpotenzial, das auch stark mit der hypothetisch möglichen Bedrohung spielt, müsse sich Europa stärker auseinandersetzen, sagt Brigadier Wolfgang Peischel, einer der Autoren des Bandes, und plädierte für Investitionen in konventionelle Waffen. „Russland ist nicht auf Eskalation aus, sondern eher ein Pokerspieler“, schätzt er. Wo man es lasse, stoße Moskau in ein Sicherheitsvakuum vor. Das beste Gegenmittel sei eine kohärentere europäische Sicherheitspolitik. Doch auch hier gibt es neue Verwerfungen im gesamteuropäischen Rahmen: Neutrale Länder wie Finnland und Schweden, die sich in russischer Nachbarschaft befinden, haben ihre Lehren aus der neuen Lage gezogen und streben eine nähere Nato-Anbindung an. Im geruhsamen Österreich hält man sich bislang zurück.

Interesse an einer Konfliktlösung?

Und Russlands Rolle bei der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine? Feichtinger sieht es als primäres Ziel des Kreml, den Konflikt am Köcheln zu halten. Moskau versuche durch Hilfslieferungen und die Akzeptanz von Dokumenten der Separatistenbehörden die notleidende Bevölkerung an sich zu binden. Dieses Füllen humanitärer Lücken sei ein Mittel, um im Spiel zu bleiben und russische Interessen durchzusetzen. Moskau habe bei den Konflikten im postsowjetischen Raum, nach Aussagen Kreml-naher Think Tanks zu urteilen, ein „Interesse an einer managed confrontation, einer Verwaltung der Konflikte auf niedrigem Eskalationsniveau“, sagte Gerhard Jandl, Sicherheitspolitischer Direktor im Außenministerium und ebenfalls Autor der Publikation. Eine vollständige Lösung des Ukraine-Konflikts, wie er etwa bei den regelmäßigen Verhandlungen der Trilateralen Kontaktgruppe unter OSZE-Führung in Minsk und beim Normandie-Format offiziell angestrebt werden, sei hingegen gar nicht Moskaus Ziel.

Buchtipp:

Walter Feichtinger und Christian Steppan (Hg.):
„Gordischer Knoten Ukraine. Eine gesamtstrategische Betrachtung“
Band 1/2017 der Militärwissenschaftlichen Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.