Polen: „Gebt uns die unabhängige Justiz zurück!“

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POLAND-JUSTICE-DEMO(c) APA/AFP/JANEK SKARZYNSKI
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Nach dem Parlamentsvotum für die umstrittene Gerichtsreform regte sich am Sonntag in Warschau Protest. Die rechtspopulistische Regierung witterte einen Putschversuch und ließ Helikopter ausschwärmen.

Danzig/Warschau. Hubschrauber wecken die Warschauer am Sonntag. Die rechtspopulistische Regierung wittert einen Staatsstreich und versucht so, die Situation unter Kontrolle zu halten. Grund sind Protestaufrufe von Bürgerkomitees und Oppositionsparteien gegen die gerade beschlossene Justizreform. Gerade einmal 2000 Demonstranten versammeln sich am Nachmittag vor dem Sejm. „Gebt uns die unabhängige Justiz zurück!“, heißt es etwa. Die Stimmung ist friedlich.

Grund für die Proteste ist der neueste Coup der Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Nach wochenlangen Verschiebungen landete am Mittwoch kurz vor der Sommerpause des Parlaments – wie dem EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau zum Trotz – plötzlich die vom Justizministerium angestrengte Gerichtsreform der rechtspopulistischen Regierung im Parlament. Dem Sejm reichten wenige Stunden, um die von Parteichef Jarosław Kaczyński gewünschte Unterwerfung der Gerichte abzusegnen. In der Nacht zum Samstag segnete auch der Senat, Polens kleine Kammer, die neuen Ermächtigungsgesetze ohne Korrekturen ab.

Justizorgan unter Parlamentskontrolle

Die beiden Vorlagen haben laut der Opposition zum Ziel, nach dem Verfassungsgericht nun auch die ganze restliche Justiz dem Willen der PiS zu unterwerfen. Die Regierung stellt dies in Abrede und begründet die Vorlagen mit zu lang hinausgezögerten Reformen, die den einfachen Bürgern den Zugang zur Gerechtigkeit erleichtern sollen.

Zum einen geht es darum, den bisher mächtigen Landesjustizrat (KRS) vollständig unter die Kontrolle des Parlaments zu stellen. Bisher hatten die Standesvertreter beim KRS ein weitgehendes Mitspracherecht. Eine weitere Gesetzesnovelle erlaubt es dem Justizminister, die bisher vom Richterkolleg bestimmten Gerichtspräsidenten zu ernennen und auch jederzeit wieder abzusetzen. Die bisherigen Gerichtspräsidenten verlieren ihren Posten, sobald das Gesetz in Kraft tritt. Der umstrittene Justizminister, Zbigniew Ziobro, (PiS) kann danach mehrere tausend Gerichtspräsidien mit eigenen Leute besetzen. Experten befürchten, dass die neuen Vollmachten des Ministeriums Richter zu regierungsgenehmen Urteilen verleiten werde.

Eine dritte, noch anhängige Gesetzesnovelle knüpft sich das Oberste Gericht vor. Unter dem Vorwand einer nötigen Neuorganisation wird die Amtszeit sämtlicher Höchstrichter sofort beendet, es sei denn, sie werden von Justizminister Ziobro erneut bestätigt. Ausgerechnet nach der Sommerpause sollte das Oberste Gericht über die Legalität der Wahl der neuen PiS-treuen Verfassungsgerichtspräsidentin entscheiden. Das Oberste Gericht bestätigt auch alle allgemeinen Wahlergebnisse – oder es lehnt sie ab. Diese Aufgabe könnte für Kaczynski spätestens im Jahr 2019 wichtig werden, wenn die PiS die nächsten Parlamentswahlen gewinnen will.

Das radikale Vorgehen der Regierung geht inzwischen selbst jahrelangen PiS-Anhängern zu weit. So hat der bekannte rechte Publizist Rafał Ziemkiewicz den Staatspräsidenten, Andrzej Duda (PiS), per Twitter zum Veto gegen die beiden Gesetze aufgerufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2017)

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