Prozess um Mordversuch: Ex-Freundin fünf Kopfstiche verpasst

Eine junge Afghanin wollte sich von ihrem Partner trennen. Er passte sie an Wiener U-Bahn-Station ab und attackierte sie mit Klappmesser. Nun muss er sich vor Gericht verantworten.

Als "Liebe meines Lebens" und "der einzige Mensch, den ich hatte" hat ein 27-jähriger Afghane am Montag im Wiener Landesgericht seine Ex-Freundin bezeichnet. Daran, dass er seiner 22-jährigen Landsfrau ein Klappmesser fünf Mal in den Kopf- und Gesichtsbereich rammte, konnte oder wollte er sich nicht erinnern. Dass er nebenbei eine Affäre mit einer anderen Frau am Laufen hatte, spielte er herunter.

Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig warf dem Mann, der
eigenen Angaben zufolge als Musiker und Poet vor den Taliban nach
Österreich geflüchtet war, versuchten Mord zur Last. Er war der
jüngeren Frau, mit der er entfernt verwandt ist, in Wien als
Verlobter vermittelt worden. Die Verlobung scheiterte allerdings,
weil der musische Mann, der sich in Wien als Hilfsarbeiter verdingte,
die von der Familie der jungen Frau geforderten 10.000 bis 11.000
Euro nicht aufbringen konnte. Die beiden Afghanen führten daher eine
heimliche Beziehung, die sich zusehends verdüsterte, weil die
Lebensstile der zwei immer mehr auseinanderdrifteten.

Afghanin sei "Musterbeispiel an gelungener Integration"

Während der Mann schließlich zu arbeiten aufhörte, von der
staatlichen Fürsorge lebte und sich hochprozentigem Alkohol und
Cannabiskraut hingab, holte die junge Afghanin den Schulabschluss
nach, ließ sich zur Kindergärtnerin ausbilden, besuchte eine
Fahrschule und am Abend einen Englisch-Kurs. Außerdem legte sie das
Kopftuch ab. Die Staatsanwältin bezeichnete ihren Werdegang als
"Musterbeispiel einer gelungenen Integration".

"Sie hat sich vorgestellt, in Österreich ein selbstbestimmtes
Leben zu führen. Der Angeklagte hat ihren Traum zerstört",
berichtete Irene Oberschlick, die Rechtsvertreterin der 22-jährigen
Frau, den Geschworenen. "Nicht einmal die Ärzte haben gedacht, dass
sie überleben wird. Es ist ein Wunder, dass sie noch am Leben ist",
stellte Oberschlick fest. Ihre Mandantin sei aufgrund des
inkriminierten Vorfalls "dauerhaft pflegebedürftig. Sie kann nicht
mehr so gehen wie vorher. Sie kann ihren linken Arm nicht bewegen".
Zudem leidet die Frau an Angstzuständen und Flashbacks, ist somit
traumatisiert.

Mit Klappmesser abgepasst

Nachdem sie ihrem Freund mitgeteilt hatte, dass sie sich von ihm
trennen werde, passte dieser die 22-Jährige am 12. Juli 2016 an der
U-Bahn-Station Währinger Straße mit bereits gezücktem Klappmesser
ab. Zuvor hatte der Angeklagte seiner "Zweitfreundin", die er an
einem Ziegelteich am Wienerberg kennengelernt hatte ("Sie war
betrunken, ich war high. Wir haben gekuschelt") per SMS angekündigt,
er werde die 22-Jährige töten, weil diese ihn "verarscht" hätte. Die
fünf Stiche bewirkten bereits lebensgefährliche Verletzungen. Doch
die junge Frau stürzte obendrein über eine Eisenstiege in die Tiefe,
was zusätzlich einen lebensbedrohlichen Schädelbasisbruch zur Folge
hatte.

"Ich denke, ich bin schuldig, weil, ich fast einen Menschen
umgebracht habe. Zum Glück hat sie es überlebt", meinte der
Angeklagte. Seine Verteidigerin plädierte allerdings auf schwere
Körperverletzung mit - bezogen auf die Lähmungserscheinungen der
22-Jährigen - Dauerfolgen. Vom Tötungsvorsatz sei der Mann
zurückgetreten, weil er noch am Tatort Polizei und Rettung
verständigt, die Schwerverletzte bei Bewusstsein gehalten und
Passanten um Hilfe gebeten hätte, argumentierte die Anwältin.

Angst, Wut, "Panik, sie zu verlieren"

In der U-Bahn-Station habe er seiner Freundin zunächst in Wange
kneifen wollen, schilderte der Angeklagte. Sie habe das unterbunden
und ihm vorgehalten, dass sie zehn oder 100 Männer andere haben
könne. Als sie ihm mit der flachen Hand auf seinen Mund schlug, habe
ihn Angst und Wut, aber auch "Panik, sie zu verlieren" erfasst: "Ich
weiß nicht, wie ich begonnen habe zu stechen." Er könne sich erst
wieder erinnern, wie er den Kopf der blutend am Boden Liegenden
hielt und diese ihn "Sei kein Esel, ich liebe dich" wissen ließ.

Als psychisch labil, herrschsüchtig und eifersüchtig
soll der Afghane wiederum seine Langzeitfreundin seiner Geliebten gegenüber dargestellt haben. Das sagte die 31-jährige Frau, mit der er eine Affäre begonnen hatte, am Montag im Wiener Landesgericht aus. Nach nur einer Woche habe er sie schon heiraten wollen.

"Unbedeutende Affäre"

Für die Zeugin war die Affäre "komplett unbedeutend", der
angeklagte Afghane habe jedoch nach kurzer Zeit schon vom Heiraten
gesprochen, gab die 31-Jährige zu Protokoll. Er habe ihr gegenüber
immer wieder versichert, dass er sich von seiner Freundin trennen
wolle.

Als er ihr eine SMS schrieb, dass er nun zu seiner Freundin
unterwegs sei, um die 22-Jährige zu töten, habe sie das nicht ernst
genommen. "Aus meiner Sicht wollte er eine Beziehung mit mir
eingehen", sagte die Frau. Der Angeklagte versicherte, dass er jedes
Mal "betrunken und high" gewesen sei, wenn er sich mit ihr traf, und
es sich um eine rein sexuelle Beziehung handelte. Seine große Liebe
sei die junge Afghanin gewesen.

Angeklagter gibt an, sich nicht erinnern zu können

Der Angeklagte konnte sich nach eigenen Angaben nicht erinnern,
dass er die junge Afghanin mit Messerstichen verletzt hatte. Als er
wieder zu sich gekommen sei, sei sie vor ihm am Boden in einer
Blutlacke gelegen. Augenzeugen berichteten, dass der Mann wimmerte
und weinte und zunächst nicht ansprechbar war. Immer wieder soll er
gesagt haben: "Ich Trottel", "Was habe ich getan?" und "Bringt mich
auch um". Laut einem Ersthelfer habe er das Opfer gehalten, aber
nicht versucht, die Blutungen zu stillen. "Ich hatte ein Handtuch im
Rucksack, das hat er weggeschmissen und wollte auch mich
wegdrängen", sagte der Ersthelfer. Der Angeklagte sei nicht davon
ausgegangen, dass das Opfer überlebt, vermutete ein an den Tatort
gerufener Polizist.

Einen betrunkenen Eindruck machte der Afghane, der an diesem Tag
eine dreiviertel Flasche Whiskey geleert haben will, auf die
Polizisten nicht. "Er hat weder gelallt, gerochen noch geschwankt",
sagte ein weiterer Beamter. Alkohol dürfte der Angeklagte
grundsätzlich schon längere Zeit konsumiert haben - für den Vater
des Opfers, einen gläubiger Muslim, ein Grund, die geplante
Verlobung nicht zu erlauben.

Eine weitere Augenzeugin berichtete dem Schwurgericht (Vorsitz:
Georg Olschak), sie hätte Streit bemerkt, als sie an dem Paar vorbei
zur U-Bahn-Station ging. Die Situation sei "sehr bedrohlich"
gewesen, das Opfer habe beide Hände schützend über ihren Kopf
gehalten: "Ich habe die junge Frau gefragt, ob sie Hilfe braucht und
ob ich die Polizei rufen soll." Die junge Frau habe sie nur
angeschaut, da habe der Mann das Messer gezückt.

Ein "Glücksfall, dass die Frau überlebt hat"

"Es ist aus medizinischer Sicht ein Glücksfall, dass
die Frau überlebt hat", stellte Gerichtsmediziner Christian Reiter
in seinem Gutachten zu den Folgen der inkriminierten Tathandlungen
fest. Die junge Afghanin hätte "an drei potenziellen Todesursachen
sterben können", führte der Sachverständige aus. "Diese Frau ist
eine ungeheure Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lässt",
betonte Reiter.

Seiner Expertise zufolge dürfte der Angreifer der 22-Jährigen
vier Mal in die rechte Schädelhälfte gestochen haben, wobei die
Klinge Verletzungen im Stirn- bzw. Schläfenbereich, an der Nase,
hinter dem Ohr und an der Scheitelregion bewirkte. Besonders massiv
war ein weiterer Stich ins linke Hinterhaupt, der einen
Eindrückungsbruch am Schädel und eine Durchtrennung des Rückenmarks
zwischen Hinterhauptknochen und erstem Halswirbel zur Folge hatte.
Danach kam die Frau noch zu Sturz, was zu einem Schädelbasisbruch
führte.

"Sie hätte verbluten können. Sie hätte an einer Atemlähmung
sterben können, weil bei einer Durchtrennung des Rückenmarks das
Zwerchfell keinen Auftrag zu atmen mehr bekommt. Dem ist sie wenige
Millimeter entgangen. Schließlich hätte der Schädelbasisbruch zum
Tod infolge des ansteigenden Hirndrucks führen können", erläuterte
Reiter. Er bezeichnete die Verletzungen als "mehrfach
lebensbedrohlich" und bekräftigte: "Es ist einer glücklichen Fügung
zu verdanken, dass sich der Vorfall in der Währinger Straße direkt
neben dem AKH ereignet hat. Wenn das im Wienerwald in Neuwaldegg
passiert, ist sie wahrscheinlich tot."

Einen Monat im künstlichen Tiefschlaf

Die 22-Jährige wurde einen Monat lang im künstlichen Tiefschlaf
behandelt. Ein weiteres Monat verbrachte sie auf der
Intensivstation. Danach war sie bis Anfang Jänner durchgehend in
einem Rehab-Zentrum. Bis zuletzt waren dort weitere mehrwöchige
Aufenthalte erforderlich. Denn die Folgen dessen, was die Frau
mitmachen musste, nannte der Gerichtsmediziner "dramatisch". Reiter
beschrieb dem Gericht eine vollständige sensible Lähmung ihrer
rechten Körperseite: "Sie spürt weder die Große Zehe noch ist sie in
der Lage, sinnliche Wahrnehmungen der rechten Hand zu spüren." Mehr
außer ihren Namen kann die Rechtshänderin nicht mehr schreiben.
Linksseitig konstatierte Reiter eine "schlaffe Lähmung. Sie hat
keine Motorik im linken Bein und an der linken Hand".

Wie die 22-Jährige damit umgeht, nannte Reiter "in hohem Maße
überraschend". So ist die junge Frau in der Lage, mit Hilfe einer
Krücke langsam, aber doch und vor allem ohne fremde Hilfe zu gehen.
"Sie hat den Rollstuhl weggestellt und weigert sich, je wieder über
einen Rollstuhl zu sprechen", schilderte Reiter fast bewundernd,
nachdem er die junge Afghanin zuletzt am vergangenen Freitag
untersucht hatte. Die Patientin sei grundsätzlich "sehr
zuversichtlich. Sie will den Führerschein machen. Sie lernt derzeit
für die theoretische Prüfung", erklärte Reiter. Aufgrund der
Lähmungserscheinungen wird die 22-Jährige aber nie Pedale betätigen
können.

Der Sachverständige ließ keinen Zweifel offen, dass in
strafrechtlicher Hinsicht schwere Dauerfolgen gegeben sind, "die für
viele Jahre, wahrscheinlich für immer fortbestehen werden", so
Reiter abschließend. Im Anschluss wurde das Video mit der
kontradiktorischen Einvernahme der Betroffenen abgespielt, die im
Vorfeld zu ihren Wahrnehmungen befragt worden war. Damit wurde ihr
ein persönliches Erscheinen bei Gericht erspart.

Aussage über Video

Sie habe immer um die Beziehung zu ihrem Freund
gekämpft und sich nie vorstellen können, dass er seine Drohung, sie
umzubringen, wahr mache, sagte die junge Afghanin. "Er war nett und freundlich zu mir, aber nicht ehrlich", sagte die 22-Jährige in dem Video. Dass er sechs Wochen lang eine Affäre hatte, habe sie erst durch die Medien erfahren, als sie aus dem mehrwöchigen Koma erwachte. Auch dass er Marihuana rauchte, habe er vor ihr versteckt. Der Angeklagte weinte, als er das Video sah.

Ihr Freund habe schon immer gerne getrunken und heimlich
geraucht. Sie habe ihn dazu aufgefordert, "etwas aus seinem Leben zu
machen", eine Ausbildung zu beginnen oder die Schule abzuschließen.
Doch er habe sie ignoriert und wollte auch nicht, dass sie einen
Englischkurs besucht und den Führerschein macht. Im letzten Jahr
ihrer gemeinsamen Beziehung sei er mindestens dreimal pro Woche
betrunken gewesen, dann kam es zu Streitereien. "Er wollte immer der
Boss sein und mich klein machen", erklärte die junge Frau.

Messer immer bei sich gehabt

Viermal habe er sie in der Öffentlichkeit mit der flachen Hand
geschlagen und nur aufgehört, weil sie sich zur Wehr setzte. Jedes
Mal habe er dann geweint und sich entschuldigt. Ein halbes Jahr vor
der Tat begann er, immer ein Messer mit sich zu tragen, "weil es in
Österreich so gefährlich geworden ist", wie er ihr gegenüber angab.
Einmal versuchte er, ihr mit einem Messer in die Brust zu stechen,
dieses konnte sie ihm aus der Hand schlagen. "Da hat er mich
angeschrien, dass ich ihm das Messer wieder bringen soll". Von dem
Vorfall erzählte sie niemandem, nicht einmal ihren Eltern, aus
Angst, dass diese ihr den Kontakt mit ihm untersagt hätten.

Die junge Frau ignorierte alle Warnsignale. "Ich habe ihn so sehr
geliebt und immer um die Beziehung gekämpft", gab sie als Grund an.
Ihr Freund sei extrem eifersüchtig gewesen und hätte ihr damit
gedroht, dass - solle sie jemals einen anderen Mann heiraten - er
diesen und sie umbringen werde. Sie habe ihm das nicht zugetraut.

Am 12. Juli 2016 habe er sie nach dem Führerscheinkurs abgepasst
und bei der U-Bahn-Station Währingerstraße eingeholt. Plötzlich habe
er sie geschlagen, und auf sie eingestochen, als sie bereits am
Boden lag. Sie habe noch gehört, wie der Rettungswagen kam, dann sei
sie ohnmächtig geworden.

(APA)

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