Israel: Opposition fordert den Rücktritt Netanjahus

Premier Benjamin Netanjahu.
Premier Benjamin Netanjahu.(c) APA/AFP/POOL/GALI TIBBON
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Die Vorwürfe in mehreren Korruptionsaffären setzen dem Regierungschef immer mehr zu. Einer seiner langjährigen Vertrauten will gegen ihn aussagen. Doch Premier Netanjahu denkt vorerst nicht daran, sein Amt abzugeben.

Jerusalem. Von einem fliegenden Wechsel ehemaliger Regierungschefs in der Gefängniszelle träumen Israels Oppositionspolitiker. Vor kaum vier Wochen ist Ex-Premier Ehud Olmert vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Sollten sich die Anschuldigungen gegen den derzeitigen Regierungschef verdichten, könnte Benjamin Netanjahu bald Olmerts leere Zelle übernehmen. Der Seitenwechsel seines langjährigen Vertrauten Ari Harow, der als Kronzeuge in zwei Korruptionsaffären gegen seinen Ex-Chef aussagen will, könnte Indiz für eine klare Beweislage der Polizei gegen Netanjahu sein.

Der Chef der oppositionellen Arbeitspartei, Avi Gabai, forderte am Sonntag Netanjahus Rücktritt. Der Premier warnt seine Gegner aber vor Euphorie: Die Vorwürfe werden „zu nichts führen“. Doch Geschenke, darunter sechsstellige Eurosummen des Filmproduzenten Arnon Milchan, mit dem die Eheleute Netanjahu befreundet sind, sowie windige Absprachen mit dem Herausgeber einer Tageszeitung drohen Israels Regierungschef zu Fall zu bringen.

Einfluss auf Berichterstattung?

Kernstück der Beweisaufnahme ist der Mitschnitt eines Telefonats zwischen Netanjahu und Amnon Moses, dem Chef der Zeitung „Jediot Achronot“. Darin soll Netanjahu im Gegenzug für eine wohlwollendere Berichterstattung des sonst regierungskritischen Blattes versprochen haben, dafür zu sorgen, dass die Konkurrenzzeitung „Israel Hajom“ ihre Auflage reduziert und die Wochenendausgabe einstellt. Denkbar ist, dass Kronzeuge Ari Harow das fragliche Telefonat mithörte. In einer weiteren Affäre, die derzeit in den Schlagzeilen kursiert, prüft die Polizei, ob es eine Mitwisserschaft des Regierungschefs gibt: Zentraler Verdächtiger dabei ist Netanjahus Anwalt und Cousin David Schimron, der an dem vom israelischen Verteidigungsministerium geplanten Kauf dreier deutscher U-Boote selbst gut mitverdienen wollte.

Die Rufe der Opposition nach Netanjahus Rücktritt treffen vorläufig auf taube Ohren. Offenbar will er es seinem Vorgänger Olmert nicht gleichtun, der im September 2008 das Regierungsamt verließ, als sich eine Anklage gegen ihn abzeichnete. Die Neuwahlen wenige Monate nach Olmerts Rücktritt brachten damals Netanjahu ins höchste Regierungsamt. Laut Justizministerin Ajelet Schaked müsse Netanjahu erst nach einem Schuldspruch zurücktreten.

Neuwahlen könnten dem Zionistischen Lager, einem Bündnis aus der Arbeitspartei und der Mittepartei Die Bewegung, ohnehin zu früh kommen. Erst im Juli wählte die Arbeitspartei einen neuen Vorsitzenden. Gabai ist noch ein relativ unbeschriebenes Blatt. Um die Wähler für sich zu gewinnen, würden ihm wenige Monate kaum reichen. Er selbst rechnet mit „einem Jahr“, bis die Korruptionsaffäre zu Neuwahlen führt.

„Ich habe keinerlei Erwartungen an Netanjahu“, kommentierte Gabai, „aber wo sind seine Regierungspartner?“ Bei den Vorwürfen ginge es nicht um politische linke oder rechte Haltungen. Netanjahus Koalitionspartner „müssen sagen, dass es jetzt reicht“. Vorläufig halten die Parteifreunde des Likud noch fest zum Chef. „Hört mit dem Unsinn auf“, postete Kulturministerin Miri Regew auf ihrer Facebook-Seite. „Netanjahu wird noch viele Jahre lang weiter Ministerpräsident bleiben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2017)

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