Pilgerstau am Jakobsweg

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4490 / Reportage Jakobsweg =(c) Holde Schneider / Visum / picturdesk
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Von besinnlicher Ruhe weit entfernt: Lange Menschenkarawanen auf dem Weg zur Wallfahrtsstadt Santiago de Compostela treiben Preise in die Höhe und vergrämen Einheimische.

Madrid. Voll, voller, Spanien. Der Touristenansturm schlägt dieses Jahr alle Rekorde, und das macht sich auch in spanischen Regionen bemerkbar, die bisher eher abseits der ausgetretenen Pfade lagen. Das gilt beispielsweise für den Jakobsweg, jene Pilgerroute, die sich über 800 Kilometer von den Pyrenäen an der französischen Grenze bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela durch Nordspanien schlängelt. Dort ist es inzwischen mit der besinnlichen Ruhe vorbei: Jetzt, im Sommer, begeben sich lange Menschenkarawanen auf Wallfahrt.

Weil immer mehr Wanderer unterwegs sind, warnt Bürgermeister Martiño Noriega davor, dass seine Stadt Gefahr läuft, „am eigenen Erfolg zu sterben“. Im vergangenen Jahr gingen 280.000 Pilger über den Jakobsweg nach Santiago, deren Altstadt rund um die Kathedrale zum Weltkulturerbe gehört. 2017 dürften es rund 300.000 werden.

Hinzu kommen jedes Jahr mehrere Millionen weiterer Touristen in die Stadt, in deren Kathedrale die Gebeine des Apostels Jakobus ruhen sollen. Insgesamt 800.000 Besucher übernachteten in Santiago mit 100.000 Einwohnern, plus Millionen Tagesgäste. Und die Besucherkurve zeigt weiter steil nach oben. Der Trend in der Pilgerstadt lässt sich auf ganz Spanien ummünzen: Mehr als 80 Millionen ausländische Urlauber werden dieses Jahr erwartet.

Die linksalternative Stadtregierung Santiagos trat bereits auf die Bremse und beschloss ein Moratorium für das Hotel- und Tourismusgewerbe in der City, weil sich Herbergen und Souvenirshops immer weiter ausbreiteten und die gewachsenen Altstadtstrukturen erdrückten. So will man verhindern, dass die Immobilienpreise weiter in den Himmel schießen und die einheimische Bevölkerung aus der Innenstadt verdrängt wird.

Um die Immobilienspekulation rund um die Kathedrale zu bremsen, wird nun auch in Santiago – ähnlich wie schon in den Tourismushochburgen Barcelona oder auf Mallorca – die illegale Vermietung von Ferienapartments durch Airbnb und andere Plattformen bekämpft. Nur offiziell registrierte Ferienwohnungen mit Lizenz dürfen noch angeboten werden, sonst drohen hohe Strafen. Doch will niemand die Touristen zum Sündenbock machen, schließlich lebt die Pilgerstadt nicht schlecht von ihren Besuchern. „Der Tourismus ist der Motor unserer Stadt“, räumt Bürgermeister Noriega ein.

Demonstration in Logroño

Er will die Touristenkarawanen lediglich in geordnete Bahnen lenken. „Wir müssen ein Qualitätsmodell suchen, das nicht die ganze Altstadt in einen Themenpark verwandelt.“ Auch beim Geschäft mit den Pilgern, das die Kassen klingeln lässt, dürfe nicht der Respekt vor den einheimischen Bewohnern unter die Räder kommen. Zu tourismusfeindlichen Demonstrationen wie auf Mallorca oder Barcelona kam es in Santiago bisher nicht. Aber dafür in der 600 Kilometer entfernten Stadt Logroño, die am Pilgerweg liegt.

Dort demonstrierte eine kleine Bürgergruppe vor einigen Wanderherbergen und hielt Plakate mit der Aufschrift „Pilger, geht nach Hause“ in die Höhe. „Unsere Altstadt hat sich wegen der Tausenden von Pilgern in einen unbegehbaren und überaus lauten Ort verwandelt“, erklärten die Demonstranten. Der Pilgerstrom treibe die Preise der Bars und Restaurants in die Höhe und störe die Ruhe in den Altstadtgassen.

Viel Rückhalt fand die Minidemonstration jedoch nicht in Logroño, der Hauptstadt der Weinregion Rioja, die ihre Einnahmen vor allem der Produktion des Rebensafts und eben auch den Wallfahrern verdankt. Eine Unterschriftenkampagne der kleinen Anti-Pilger-Bewegung, in der gefordert wurde, den Jakobsweg in großem Bogen um die Stadt herumzuleiten, scheiterte und wurde nur von 19 Bürgern der 150.000-Einwohner-Stadt unterstützt. Das klingt nicht gerade nach einer Revolution gegen die frommen Wallfahrer, die hier also von der großen Mehrheit der Bevölkerung weiterhin willkommen geheißen werden.

Die wirklichen Probleme auf dem Jakobsweg sind denn auch ganz andere. Und sie bereiten eher jenen Pilgern Kopfschmerzen, die mit der großen Illusion die Stiefel angezogen haben, einsam und still durch die schöne Landschaft Richtung Santiago zu wandern. Denn von Einsamkeit kann, wenigstens auf der Hauptpilgerroute, keine Rede mehr sein: Die Pilgerherbergen sind überfüllt. Wer nicht frühzeitig reserviert und nicht mittags am Ziel ist, bekommt kein Bett. Und vor vielen Bars, Trinkbrunnen und natürlich vor Santiagos berühmter Kathedrale muss man Schlange stehen. Aber auch das kann ein spirituelles Erlebnis ganz eigener Art sein.

(C) DiePresse

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