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Noch einmal vor dem Richter stehen dürfen

Bild aus ''The Making of Justice''
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Sieben Mörder konzipieren in „The Making of Justice“ den perfekten Actionfilm. Sie verraten dabei viel über ihre eigene Geschichte.

Sarah Vanhee hatte sich eigentlich vorgenommen, nichts über die sieben Männer herauszufinden, die da vor ihr im Gefängnis saßen. „Erst gegen Ende unserer Treffen packte mich die Neugierde dann doch und ich begann, ihre Fälle zu googlen“, sagt die Belgierin. Und: „Ich bereue, das getan zu haben.“ Wobei Vanhee freilich wusste, dass sie es mit sieben Mördern zu tun hatte, sieben Männern, deren Geschichten in den Zeitungen des Landes so lange erzählt worden waren, bis jeder sie kannte. Doch: „Gefragt hat mich kein einziges Mal jemand, was eigentlich passiert war“, sagt einer der Männer, die Vanhee für ihren Film „The Making of Justice“ traf.

Tatsächlich gibt die Künstlerin in dem Film den Gefängnisinsassen das erste Mal die Möglichkeit, Experten zu sein. Zusammen erarbeiteten die Häftlinge mit ihr ein Konzept für einen Spielfilm, in dem ein Kleinkrimineller zum Mörder wird. Es ist ein berührendes Stück, das nicht durch Bilder oder Voyeurismus besticht, sondern durch die Ehrlichkeit seiner Protagonisten, ihre Ernsthaftigkeit, durch ihren wirklichen Willen, zu zeigen, dass sie etwas können, dass sie nachgedacht haben.

„Das Problem ist: Diese Männer haben keine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie sich wirklich geändert haben“, sagt Vanhee. „Sie haben noch viele Jahre Gefängnis vor sich.“ Die Veränderung, die oft durch Therapie, ein Philosophiestudium im Gefängnis oder die Gesprächsrunden mit Priestern oder Co-Insassen eintritt, „können sie im echten Leben nicht ausprobieren. Ihnen bleibt nur das Reich der Fiktion.“ Vanhee gewährt ihnen Zutritt.

„Das wird zur Persiflage“

Die Idee für „The Making of Justice“ kam Vanhee 2013, als sie ein anderes Kunstprojekt in einem Gefängnis durchführte. „Was mich so überraschte, war, wie außerordentlich viel die Insassen mit mir über ihre Geschichte sprechen wollten. Jede neue Person, die sie treffen, gibt ihnen die Möglichkeit, sich nicht bloß neu zu erfinden, sondern auch noch einmal beurteilt zu werden“, meint sie. „Ich fühlte mich wie eine Leinwand, auf der sie ihr eigenes Bild zeichnen konnten.“ Mit dem Film, der 2016 in einem belgischen Gefängnis entstand, gab Vanhee den sieben Männern schließlich die Möglichkeit, genau das zu tun.

„The Making of Justice“ zeigt, wie die Männer zusammen mit Vanhee die Storyline für einen Actionfilm erarbeiten. Der Zuseher kann dabei nur erahnen, wo ihre ausgedachten Ideen enden und ihre eigenen Geschichten beginnen – nur manchmal verweisen sie ganz direkt auf die eigenen Erlebnisse, auf ihre Familiengeschichte, auf Treffen mit Angehörigen des Opfers, auf ihre persönliche Gefühlslage.

Direkt nach ihrer Geschichte zu fragen, war für Vanhee keine Option: „Das wird zur Persiflage.“ Die Sicherheit der Fiktion, der erfundenen Geschichte, gebe den Männern den Raum, Gedanken auszusprechen, die sie ansonsten nicht aussprechen könnten.

Tatsächlich schafft es der Film in seiner ganzen Einfachheit – er wurde ausschließlich in einer Gesprächsgruppe im Gefängnis aufgezeichnet –, das volle Spektrum einer Tätergeschichte abzufangen. Die Dynamik ist dabei vielleicht spannender als bei jedem „echten“ Actionfilm: Wird jemals ein Mörder gefragt, wie es sich anfühlt, einen Menschen getötet zu haben?

Das Stück hat zudem überraschende psychologische Tiefe. Was auch an der Eloquenz der sieben eigentlichen Protagonisten liegt. Der CEO eines der größten belgischen Unternehmen kommentierte den Film mit den Worten: „Ich habe noch nie ein Team gesehen, das solch eine konstruktive Diskussion zustande bringt.“

Eine gewisse Traurigkeit bleibt dennoch. Einmal den Horizont zu sehen, sagt einer der Männer, sei sein größter Wunsch. „Ich verreise, um den Film vorzustellen, und sie sitzen einfach da drinnen“, sagt Vanhee. „In dieser fiktiven Welt, die wir in dem Film aufgebaut haben, haben sie die einzige Fluchtmöglichkeit aus der Realität.“

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