Wohin? Und warum?

In den vergangenen Wahlkampfwochen war rundum viel von Bewegung die Rede. Aber ist Bewegung allein schon genug? Was sich Politiker von Immanuel Kant abschauen können – und wo Wähler handeln müssen.

Wo Menschen sind, ist Bewegung. Sich zu bewegen schließt ein, einander zu begegnen, insbesondere dann, wenn man aufeinander zugeht. Wenn sich das Aufeinanderzugehen im letzten Augenblick als ein bloßes Aneinandervorbeigehen herausstellt, möglicherweise als ein Vorbeischrammen, dann – mögen die Funken noch so sprühen und die Späne fallen –, ja dann bleibt doch Wesentliches auf der Strecke: die Chance zum Austausch, der Interaktion, des Entwickelns.
Wir befinden uns mitten in der Politik, die Nationalratswahl steht an. Es scheint, als seien alle Gruppierungen, die sich darum bewerben, dass ihnen Vertrauen „geschenkt“ werden möge, vor allem auf eines bedacht: auf Bewegung!
Wir leben in bewegten Zeiten. Die Bewegung läuft in einem Tempo ab, das nur noch die für sich beschleunigende Bewegungen typische Betrachtungsweise zulässt. Den Tunnelblick. Der ist keine Laune der Zeit, sondern (über)lebenswichtig, zumal er ins Auge rückt, was wesentlich ist – oder zumindest wesentlich erscheint oder erscheinen gemacht wird. Für den Weitblick hat das Auge keine Zeit mehr und kann für ihn auch gar keine mehr haben – das Einprasseln der Eindrücke auf die Netzhaut macht es unmöglich, einen Blick auf das Geschehen außerhalb des Brennpunkts zu verwenden. „Zu verschwenden“, mahnt der Zeitgeist, „Zeit ist Geld!“ Denn alles, was außerhalb des Fokus zu bemerken wäre, sei zu Recht dort; in der Randzone; dort, wo die Dinge kaum einer oder überhaupt schon keiner Erwähnung mehr wert seien, dekretiert der Zeitgeist.
Die Spirale ist in Gang gesetzt: Immer schneller, immer enger und die Außenzonen immer weniger fassbar. Unfassbares macht Angst, zu viel Bewegung in zu kurzer Zeit macht Orientierung nicht mehr möglich; auch das macht Angst. Die Frequenz steigt – ohne Rücksicht auf Verluste. Immer unter Strom und online: Die Menschen gönnen sich keine Ruhe mehr und leben ständig im Gefühl, etwas zu versäumen. Beinahe allgegenwärtig ist der Gedanke, nur dann für andere wichtig zu sein, wenn man immer erreichbar bleibt. Dabei ist es gar nicht so lang her, dass sich die Digitalisierung in den Alltag geschlichen und nur allmählich an Fahrt aufgenommen hat. Geschlichen? Nein. Schleichend hat da gar nichts begonnen, wir haben die Türe aufgemacht, erst ein bisschen, dann immer weiter. Klick um Klick. Facebook & Co sind nicht über Nacht über uns hereingebrochen, und sie müssen nicht, einer Naturkatastrophe gleich, ertragen werden.

Macht, Klick um Klick

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