Der furchtlose Überzeugungstäter

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Mehdi Karrubi (72) greift Irans Regierung an wie kein anderer Oppositioneller.Lange hat Karrubi im Schatten von Präsidentschaftskandid at Mir Hussein Mussavi und Expräsident Mohammed Khatami gestanden.

Kein Oppositionsführer geißelt die iranische Regierung schärfer, keiner rührt furchtloser an Tabus. Nicht einmal der Schah habe gewagt, das Blut des eigenen Volkes am höchsten schiitischen Feiertag zu vergießen, donnerte Mehdi Karrubi nach den blutigen Demonstrationen am Tag des Ashura-Fests.

Die heutige Führung im Iran mit dem Schah zu vergleichen, ist eine Ungeheuerlichkeit in der Islamischen Republik. Danach ließ die Regierung das Gerücht streuen, Karrubi habe sich ins Ausland abgesetzt. Doch das entpuppte sich schnell als Falschmeldung. Der 72-Jährige lässt sich nicht ins Bockshorn jagen.

Mit seinem weißen Turban, der hellbraunen Robe und dem sorgfältig getrimmten Vollbart sieht Mehdi Karrubi nicht gerade aus wie ein Mann, der das iranische Mullah-Regime herausfordert – eher wie das Gegenteil. Lange hat Karrubi im Schatten von Präsidentschaftskandidat Mir Hussein Mussavi und Expräsident Mohammed Khatami gestanden. Doch beide waren zwischendurch immer wieder auffallend wortkarg.

Karrubis Kritik ist nie verstummt. Seine Berater und Mitstreiter sind verhaftet, seine Büros wurden von Razzien verwüstet, seine Zeitung geschlossen. Dennoch lässt sich der aus dem westlichen Iran stammende Theologe, der bereits zweimal unter dem Reformpräsidenten Khatami Parlamentspräsident war, nicht einschüchtern. Unbeeindruckt wirft er den Sicherheitskräften Folter und Vergewaltigung von verhafteten Oppositionellen vor – ein Vorwurf, der ihn wohl schon bald vor Gericht bringen wird.

Aktiv am Schah-Sturz beteiligt

Doch Karrubi fürchtet solche Drohungen nicht. Unter dem Schah ist er neunmal im Gefängnis gewesen. Handgreifliche Verhörmethoden und Folter dürfte er aus eigener Erfahrung kennen. Karrubi ist aus einem anderen Holz geschnitzt als die meisten. Nicht nur der Glaube daran, dass man wie Imam Hussein – für den das Ashura-Fest gefeiert wird – leiden muss für seine Überzeugungen, verleiht ihm Kraft. Seine Hafterfahrung hat ihn gelehrt, dass man einen solchen Alptraum überleben kann.

Gleichzeitig macht ihm seine aktive Rolle in der Islamischen Revolution zu einem gewissen Grad immun. Noch wagt es das Regime nicht, Hand an einen alten Mann zu legen, der so sehr mit der Gründung der Islamischen Republik verbunden ist. Seine Verhaftung könnte der Funke sein, der eine Explosion auslöst.

Doch die Rufe nach seiner Inhaftierung werden innerhalb des Lagers der Hardliner immer lauter. Vor Gericht, so Karrubi trocken, hätte er dann eine gute Gelegenheit, über die Gräueltaten zu sprechen – Gräueltaten, „die den Schah gut aussehen lassen“.

Doch Karrubi steht auch für die wachsende Kluft zwischen der Oppositionsbewegung, den Massen auf den Straßen, und ihrer Führung. Letztere wollen Reformen, sie wollen die Islamische Republik verbessern und ihr ein menschliches Antlitz geben, aber sie ganz abschaffen wollen sie sicher nicht.

Viele auf den Straßen haben diese Phase bereits hinter sich gelassen. Manche junge Frauen würden in den Feuern, die ihre Mitstreiter auf den Straßen anzünden, am liebsten auch ihre Kopftücher verbrennen. Von der Theokratie haben sie längst die Nase voll.

Karrubi hingegen wünschte, er hätte nie gesehen, was aus seiner Revolution geworden ist. Doch er ist weit davon entfernt aufzugeben. Zweimal ist er bereits als Präsidentschaftskandidat angetreten. Sollte im Iran einmal eine Chance auf freie Wahlen bestehen, würde er zweifellos wieder antreten. Karrubi ist ein Überzeugungstäter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2010)

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