Analyse

Macri holt sich Rückenwind für Umbau Argentiniens

Argentiniens Präsident, Mauricio Macri, ist siegessicher. Er kündigte schon vor der Wahl am Sonntag Subventionskürzungen an.
Argentiniens Präsident, Mauricio Macri, ist siegessicher. Er kündigte schon vor der Wahl am Sonntag Subventionskürzungen an. (c) APA/AFP/JUAN MABROMATAA)
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Die Partei von Präsident Macri steuert auf einen Triumph bei der Parlamentswahl zu.

Buenos Aires. Es war − noch einmal − die ganz große Oper. Ein ganzes Fußballstadion füllte sich mit 50.000 Menschen und Tausenden Fahnen in den Nationalfarben weiß und himmelblau. Ein Steg führte von der Hauptbühne weit hinein in das Menschenmeer im Estadio Juan Domingo Perón. Von dort aus konnte die Kandidatin der Bürgerunion ganz nahe zu den Menschen sprechen, die sie lieben, immer noch, trotz alledem, was die Medien fast täglich berichten, seitdem sie vor fast zwei Jahren die Macht abgeben musste über Argentinien.

Fünf Strafverfahren hat Cristina Kirchner heute am Hals, die Vorwürfe lauten auf Korruption, Währungsmanipulationen und sogar Vaterlandsverrat. Spitzenbeamte aus ihrer Regierung sitzen in Haft ebenso wie persönliche Finanzberater ihrer Familie. Für die 64-jährige Kirchner folgen die Staatsanwälte dem neuen politischen Wind. Und Millionen Bürger scheinen ihr das zu glauben. Im August gelang es der Ex-Präsidentin, bei den Vorwahlen in der größten Provinz des Landes zu gewinnen, hauchdünn vor dem Kandidaten der Regierung. Als die Demoskopen dieses Comeback prognostizierten, wurden die Finanzmärkte nervös, und der lange stabile Peso kam ins Rutschen. Doch nun rutscht nichts mehr. Die Wechselkurse sind so robust wie die Voraussagen der Demoskopen, die ankündigen, dass der große Sieger am Sonntag Mauricio Macri heißen wird.

Formell kandidiert die Ex-Präsidentin bei der Parlamentswahl um einen der drei Senatorenposten der Provinz Buenos Aires. Aber tatsächlich kämpft sie um ihre Zukunft im breiten Reigen des Peronismus. Sollte es ihr nicht gelingen, am Sonntag einen Sieg gegen den Regierungskandidaten einzufahren, dann dürfte die peronistische Machtmaschine die kapriziöse und intern wenig geliebte Parteilinke den Richtern überlassen und einen neuen Leader suchen, der die in mehrere Fraktionen zerfallene Bewegung wieder zu einen vermag. Mehrere Kandidaten haben sich bereits in Stellung gebracht.

Mauricio Macri freilich muss darauf hoffen, dass die Peronisten weiter streiten, denn er wird auch weiterhin einen Teil der Opposition brauchen, um das 42-Millionen-Land regieren zu können. Weil nur die Hälfte der Parlamentssitze und ein Drittel der Senatorenposten zur Wahl stehen, dürfte Macris Koalition Cambiemos („Für den Wandel“) in keiner der zwei Kammern eine Mehrheit erlangen, selbst wenn das Bündnis, wie sich seit den Vorwahlen im August abzeichnet, ordentliche Zugewinne einfahren dürfte. Auf insgesamt 110 Sitze hoffen Macris Strategen, aber das wären immer noch 19 weniger als die erforderliche Mehrheit.

Politik des Gradualismo

Während ihres Wahlkampfes malte Ex-Präsidentin Kirchner das Schreckgespenst eines neoliberalen Kahlschlages durch Macri an die Wand. Doch besonnene Beobachter sind sich einig, dass die Regierung des Multimillionärs, Ex-Unternehmers und Ex-Fußballbosses keinen Spielraum hat, um radikale Umbauten im Arbeitsrecht oder Pensionssystem durchzuziehen, wie sie etwa Brasiliens Präsident, Temer, anstieß. „Gradualismo“, die Politik der kleinen Schritte, die Macri in seinen ersten zwei Amtsjahren verfolgte, dürfte weitergehen. So bei der Reform eines Steuersystems, das allen, die sich an die Gesetze halten, die höchsten Steuersätze der Welt abverlangt und damit bewirkt, dass zwei Fünftel der gesamten Volkswirtschaft im Schatten der Legalität ablaufen.

Macri ist sich seines Wahlsieges so sicher, dass er weitere Subventionskürzungen in Energie und Verkehr angekündigt hat. Die Bürger werden also noch mehr für Strom und Benzin bezahlen müssen. Als Cambiemos das Land übernahm, deckten die Gebühreneinnahmen nur zehn Prozent der Kosten ab. Heute muss die Regierung immer noch die Hälfte der Energie- und Transportkosten aus dem Budget zuschießen.

Diese Last will Macri abbauen, allerdings helfen die Gebührenerhöhungen nicht beim Abbau einer Inflationsrate, die immer noch bei über 20 Prozent liegt. „Ja, wir haben immer noch Schwierigkeiten mit der Teuerung“, gab kürzlich auch Zentralbankchef Federico Sturzenegger zu. Der frühere Harvard-Professor gehört zu denen, die gern einen härteren Reformkurs einschlagen würden. Macri würde das am liebsten auch versuchen. Am Sonntag werden die Argentinier entscheiden, wie viel Freiheit sie ihrer Regierung einräumen, um das immer noch weitgehend abgeschottete Land ins 21. Jahrhundert zu führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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