Wenn ein Mensch plötzlich und spurlos verschwindet

Vermisst: eine Familiengeschichte.

Sie konnte ihn nicht überwinden: diesen Moment, an dem ihr Leben einen Bruch bekam. Was gesternnoch war, sollte nie mehr werden. Die Familie, ihre vielschichtige Heimat, hatte über Nacht eine Lücke bekommen. Das war 1933. Ihr Vater war weg. Er war nicht tot, er war verschwunden. Ein Streit ihrer Eltern, ganz leise am Abend geführt, war der letzte Auslöser gewesen. Am Morgen war ihre Familie verändert und das noch bevorstehende Leben der damals Siebenjährigen auch. „Ab heute hast du keinen Vater mehr“, hatte ihr die Großmutter nach dem Aufstehen in übertrieben förmlichem Ton mitgeteilt. Sie machte an diesem Tag das Frühstück, half beim Ankleiden und bereitete die Schuljause vor. Die Mutter des Mädchens war noch einige Tage lang nicht ansprechbar. Sie schien in einer eigenartigen Weise abwesend. Die Frage, wo der Vater denn sei, wurde dem Kind nicht beantwortet. Das große Warum blieb einfach so stehen.

Ein verschwundener Mensch ist kein verstorbener Mensch, der mit Trauer verabschiedet werden kann. Ein verschwundener Mensch lässt für seine Nächsten ohne die Beigabe von Hass und Zorn kein Ausweichen in ein neues Leben zu. Denn er ist, er existiert – und ist dennoch nicht da. Das Gemeinsame ist nicht beendet, es hat sich ohne Erklärung aufgelöst. Das Trauma des damals jungen Mädchens hielt bis ins hohe Alter. Sie war nie ganz ruhig in ihren Beziehungen, nie ganz sicher. Verlustängste plagten sie immer und immer wieder.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.