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Meister und Margarita, vom Teufel befreit

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Der Papst hat Recht: Es gibt das konkrete Böse. Zum Glück für Dichter. Ohne Leibhaftige wär's fad.

Für den obersten Hirten der römisch-katholischen Kirche ist es klar: Wer an das „summum bonum“ glaubt, wer also in Gott das höchste Gut sieht, für den muss es auch das „summum malum“ geben, die dunkle Seite der Macht. Deshalb wird es zwar biedere Atheisten, nicht aber nervöse Apokalyptiker erstaunen, dass Papst Franziskus die Gläubigen erneut vor jedem Kontakt mit dem Teufel gewarnt und daran erinnert hat, dass Luzifer, dieser gefallene Engel, das konkrete Böse sei. „Er ist keine diffuse Sache, er ist eine Person“, sagte der Heilige Vater just in der besinnlichen Zeit des Advents.

Der Versucher ist intelligenter als wir armen Sünder. Er hat viele Namen, man kann ihn nicht nur unter der sinistren Kurzwahl 666 jederzeit telepathisch erreichen. Theologische Feinheiten aber, mit denen dieses höllische Wesen umrissen wird, sollen hier ausgespart werden. Vielmehr reichen rein literarische Gründe aus, um dem Papst bei der Personalisierung Satans zuzustimmen. Religionskritiker, die pauschal Gott, das Jenseits, Dämonen und selbst harmlosere Formen von Transzendenz leugnen, tun gewiss Unrecht.

Nicht nur viele Faschingsumtriebe, sondern vor allem die Dichter wären arm dran ohne den Gottseibeiuns, der so manchen Roman erst lesbar macht, der sonst elende lyrische Ergüsse würzt. Besonders die Geschichte des Jesuitendramas wäre weniger interessant, wenn nicht der Teufel und all seine defekten Gehülfen ihre Hand im Spiel hätten. Weil er dort jedoch keine Person ist, sondern nur eine Allegorie, kann nicht einmal der frömmste Vatikanologe gegen solch eine fiktive Begegnung mit der Finsternis sein, in der man gedanklich in einen Abgrund blickt, der gruselig zurückblickt.

Wie würde etwa eine Reise in Dantes „Inferno“ ohne dreiköpfiges Monster verlaufen, das ewiglich die Erzverräter Judas, Brutus und Cassius frisst? All die armen Verdammten müssten sich eiskalt bis in den letzten Kreis der Hölle selbst verwalten. Und Milton hätte keine packende Ratsversammlung im Pandämonium von „Paradise Lost“ geschrieben, wo fiese Schlachtpläne gegen den Himmel geschmiedet werden, sondern ein schmales veganes Versepos: „Paradise“, weder „Lost“ noch „Regained“. Aus Mangel an Antagonisten hätte uns der intellektuelle Brite vieles erspart.

Und Goethes „Faust“ wäre ohne Mephisto nicht über die ersten Szenen hinausgekommen: Alter Gelehrter beschwört vergeblich Geister, vom Eise befreit trifft er beim Osterspaziergang keinen Pudel, sondern die brave Margarete. Sie weist ihn ab. Als Emeritus schreibt er nur noch fade Frankfurter Elegien.

Am schlimmsten aber träfe den russsichen Moralisten Bulgakow die Nichtexistenz des Leibhaftigen: In seinem Roman „Meister und Margarita“ gäbe es ohne teuflisches Wirken weder eine Passion noch ein Happy Ending für das Paar.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2017)

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