Stiche in ein stolzes Sportlerherz

Mit Johannes Thingnes Bø (r.) hat Martin Fourcade einen Gegner bekommen.
Mit Johannes Thingnes Bø (r.) hat Martin Fourcade einen Gegner bekommen.(c) APA/AFP/FRANCK FIFE
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Einst hieß sein Musterschüler Martin Fourcade, nun formte er Johannes Bø zu dessen härtesten Rivalen: Siegfried Mazet beschert dem Biathlonwinter ein packendes Duell.

Martin Fourcade war richtig sauer. Da wechselt sein Erfolgscoach Siegfried Mazet nach acht Jahren im französischen Team ausgerechnet zur großen Biathlonkonkurrenz nach Norwegen. 2016 geschah das, Fourcade musste sich bei Interviews sichtlich beherrschen – und gab am Ende der Saison mit seinem sechsten Gesamtweltcupsieg in Folge dann doch wieder die sportliche Antwort. In diesem Winter aber entfaltet die Arbeit seines Excoaches in Norwegen so richtig ihre Wirkung. Mit Johannes Thingnes Bø hat Fourcade einen Gegner bekommen, von dem der so stolze Franzose sagt: „Wenn Johannes keine Fehler macht, ist er unschlagbar. Dieser Mann ist im Moment einfach zu gut. Ich bin der erste vom Rest.“

Bø ist kein Unbekannter, der 24-Jährige zählte schon als Teenager zur Weltklasse, einzig die Konstanz fehlte ihm. Einem guten Rennen folgte in der Regel ein schlechtes. Nun aber wirkt der hochkomplizierte Biathlonsport bei ihm wie ein Kinderspiel, Mazet hat ihm zum Seriensieger geformt. Er ist schneller als Fourcade in der Loipe und auch am Schießstand, wirkt dort vor allem sicherer als der Franzose. Von acht Einzelrennen bisher gewann er fünf, ein Sieg ging an seinen älteren Bruder Tarjei Bø, die anderen beiden holte sich Fourcade.

Das Duell hebt das Level im Weltcup auf ein atemberaubendes Niveau. Und der einst unantastbare Fourcade spürt den Druck. In Hochfilzen kamen die beiden als Führende in der Verfolgung gleichzeitig zum letzten Schießen, der Franzose, der sonst gern selbst die Konkurrenz zu Fehlern provoziert, strauchelte, Bø ließ ihn nach einer unwiderstehlichen Serie einsam zurück. Just bei seinem Heimweltcup in Annecy musste sich Fourcade dem Rivalen in Sprint und Verfolgung beugen. Erst als Bø im abschließenden Massenstart zwei Schießfehler unterliefen, war er zur Stelle. „Was die Emotionen angeht, war es das vielleicht großartigste Rennen meines Lebens“, meinte der 29-Jährige.

Im selben Alter, als Fourcade seine Ära begründet hat, schwingt sich nun Bø zum Dominator auf. „Ich bin über meine Form wirklich überrascht“, meint der locker und unbeschwert wirkende Skandinavier, der auch mit Gabriela Koukalova, dem großen Star des Damenbiathlons, bei der Pressekonferenz flirtet, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Während Fourcade nur allzu gern kämpferisch die Faust ins Publikum reckt, hat Bø nach seinem vierten fehlerfreien Schießen in der Verfolgung von Annecy seinem Trainer Mazet eine Kusshand zugeworfen, dann eilte er zum vierten Sieg in Serie.

Wenn Langläufer schießen lernen

„Nach einer langen Zeit im selben Team wird man bequem. Aber dann fehlt das Feuer, und ich habe dieses Feuer gebraucht“, erklärte Mazet, 40, seinen Wechsel nach Norwegen. Bereut hat er es nicht. „Ich wusste, es war ein Risiko. Aber es war aufregend, eine andere Kultur, neue Leute.“ Und nun bringt er den gern als Langläufervolk bezeichneten Norskern auch das Schießen bei. Allen voran Johannes Bø. „Ich habe ihm erklärt, dass er mental etwas ändern muss. Er wollte immer schon der Beste sein, hat aber viel Risiko auf sich genommen. Johannes wollte immer sehr schnell schießen, wie Simon Eder.“

An allen möglichen Varianten hat Mazet mit Bø gearbeitet, langsam, schnell, weniger impulsiv. Bei Mazets Schießtraining gibt es nur eine gewisse Anzahl an Versuchen pro Einheit, kommt der Athlet nicht auf seine Treffer, gilt dasselbe wie beim Wettkampf: Die nächste Chance gibt es erst morgen. So hat sich die Treffsicherheit von Bø im ersten Jahr unter Mazet von 85 auf 88 Prozent erhöht, heuer hält er diesen Wert beinahe, obwohl er viel schneller ans Werk geht. „Das ist sein Verdienst“, meint der Schützling in Richtung seines neuen Trainers.

Als Zweiter im Gesamtweltcup wird Bø die Weihnachtspause verbringen, Fourcade hat noch 20 Punkte Vorsprung. Die nächsten Rennen steigen ab 5. Jänner in Oberhof, vor 50.000 deutschen Fans. Doch selbst die großen Nationen Deutschland und Russland sind derzeit nur Statisten im Duell zwischen Bø und Fourcade. „Johannes ist immer noch jung, mit so viel Potenzial wie Martin“, meinte Erfolgscoach Mazet.

(c) imago/ITAR-TASS (Sergei Bobylev)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2017)

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