Der Ballvater der Nation

200 Bälle hat Christian Koprolin in der Wiener Hofburg schon organisiert und dabei Hunderttausende feiern gesehen. Privat meidet er Bälle: »Ich bin kein Tänzer.«

Einst feierte ausschließlich der Kaiser in der Hofburg. Die imperiale „Party“ hieß „Ball bei Hof“ und war exklusiv der Aristokratie zugänglich. Der Monarch hat die „Burg“ längst verlassen, und das, was der Kaiser dort mit seinem Hofstaat trieb, hat das Kongresszentrum Hofburg zu einem zeitgemäßen Geschäft gemacht: Willkommen in der Ballindustrie des 21. Jahrhunderts.

Einer ihrer Hauptdarsteller ist Christian Koprolin. Der 37-Jährige ist das, was man mit Ballvater der Nation umschreiben könnte und offiziell Senior Projekt Manager heißt. Auch auf der Visitenkarte. Und professionelles Management ist nötig. Bis zu 110.000Euro verrechnet die Hofburg Betriebsgesellschaft Veranstaltern pro Ball. Eintrittskarten kosten zwischen 60 und 100 Euro, Tische oder gar Logen deutlich darüber. Auf den prunkvollen 17.000 Quadratmetern gibt jeder Gast an nur einem Abend durchschnittlich 200 Euro aus.

200 Bälle hat Kaprolin, diplomierter Tourismusfachmann, während seiner Laufbahn organisiert. Und zwar nicht im Frack, sondern ganz leger in Sakko und Jeans. Die Abendkleidung würde den leutseligen Vater eines zwölfjährigen Sohnes tagsüber nur bei der Arbeit stören. Im Minutentakt läutet das Handy, dem Tontechniker fehlt ein Kabel, letzte Details mit dem Catering müssen geklärt werden.

Allein während der sechswöchigen Ballsaison 2010 werden geschätzte 55.000 Personen aus (fast) allen Gesellschafsschichten unter seiner Aufsicht tanzen, feiern, trinken. Mehrere hunderttausend waren es in den vergangenen 15 Jahren. So lange schon kümmert er sich darum, dass Jäger und Juristen, Kaffeesieder und Kooperierte hier ihre Feste feiern können.


DVD statt Filmriss. „Momentan komme ich nur zum Schlafen nach Hause“, sagt Koprolin, ohne sich zu beklagen. Immerhin ist jetzt Hochsaison. Gestern, Samstag, feierte die Wiener Wirtschaft ihren Ball. Morgen, Montag, folgt mit dem Jägerball einer der Kassenschlager. 6000 Gäste sind zugelassen, damit ist die Veranstaltung– gemeinsam mit dem Ball der Kaffeesieder – die größte, die Koprolin je organisiert hat. Erstmals nämlich wird wegen des großen Interesses zusätzlich zur Hofburg und den Redoutensälen ein Teil der Spanischen Hofreitschule geöffnet. Die großen Bälle sind beliebt wie noch nie. „Insbesondere der Jägerball ist ein Fest für die Jungen.“ Und der Prominenten, weshalb ihn dieses Jahr „zum Leute-Schauen“ auch seine Lebensgefährtin dorthin zur Arbeit begleiten wird.

Überhaupt haben sich die Zeiten im Ball-Business geändert. Gäste von heute erwarten sich mehr als Eröffnungspolonaisen und Mitternachtseinlagen. Je nach Veranstalter sind Lasershows, Multimediainstallationen oder Liveübertragungen vom Ballgeschehen zu sehen, die dann auf Flachbildschirmen gesendet werden. Wer will, kann sich die Bilder von der durchtanzten Nacht im Nachhinein auf DVD nach Hause schicken lassen – zum Auffrischen schöner Erinnerungen oder als Lückenfüller für einen alkoholbedingten Filmriss, je nachdem.

„Wirklich ausfällig wird es nur äußerst selten“, beantwortet Koprolin Fragen nach Gerüchten über Ausschweifungen aller Art in Logen oder Hinterzimmern. Wenngleich es, und das überrascht einen alten Hasen wie ihn bis heute, immer wieder faszinierend sei, wie jedes Mal aufs Neue Getränke und Musik die anfänglich steife Atmosphäre eines Balls zusehends entspannen. Dann kommen sich Tanzpartner näher, Gespräche beschränken sich nicht mehr auf den eigenen Tisch, sondern breiten sich über die Grenzen der Sitzordnung hinaus aus.


Sorgen ums Gemäuer. Sorgen um die Einhaltung der Hausordnung waren es auch, die Koprolin und sein Team (darunter Köche, Techniker, Raumausstatter und Reinigungskräfte) während der Schülerbälle der Vergangenheit den Angstschweiß auf die Stirn trieben. Nicht aus Furcht vor den Schülern, sondern aus Sorge um das denkmalgeschützte Gemäuer und seine kostbare Einrichtung. Räume wie der Zeremoniensaal, in dem einst der Wiener Kongress tanzte und 2007 der Papst ranghohen Vertretern der Republik die Leviten las, sind nicht unbedingt gebaut für das, was Teenager unter Feiern verstehen.

Die Schülerbälle haben die Burg inzwischen verlassen. Trotzdem muss jeder Veranstalter eine Haftpflichtversicherung abschließen. „Bei so vielen Leuten kann immer etwas zu Bruch gehen.“ Zusätzlich werden Gäste und Hofburg von Notärzten, Feuerwehr- und bis zu 60 Sicherheitsleuten überwacht, deren Aufgabe es u.a. ist, „Illegale“ fernzuhalten. Bei den großen Bällen kommt es immer wieder vor, das jene, die keine Karten bekommen haben, mitunter kreative Methoden anwenden, um doch noch aufs Parkett zu gelangen. „Einmal“, erinnert sich Koprolin an einen Jägerball, „wollte sich eine Gruppe mithilfe eines eingeweihten Ballgastes durch einen von außen versperrten Notausgang einschleusen.“ Koprolin spielte mit, mischte sich vor der Tür unter die Eindringlinge und ließ dann, im Inneren angekommen, die Tarnung fallen.

Obwohl ihm sein Beruf „riesig Spaß macht“, bleibt er privat Bällen fern. „Ich bin kein Tänzer.“ Zehn Stunden Grundkurs reichten gerade für einen holprigen Rechtswalzer.

Er erspart sich dann auch Zwischenfälle, die ihn während der Arbeit manchmal zum Schmunzeln bringen. Etwa jenen, als sich ausgerechnet ein Mediziner lautstark über das Rauchverbot echauffierte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2010)

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