Zwei Königinnen auf leerer Bühne

Hoheitsvoll und furios: Marlis Petersen glänzt als Maria Stuarda.
Hoheitsvoll und furios: Marlis Petersen glänzt als Maria Stuarda.APA/MONIKA RITTERSHAUS
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Donizettis „Maria Stuarda“ im Theater an der Wien: Großer Jubel für die musikalische Deutung mit Marlis Petersen in der Titelrolle, etliche Buhs für das reduzierte Kammerspiel von Regisseur Christof Loy.

„Sei tu confuso – bist du verwirrt?“, fragt Elizabeth I. ihren Günstling Leicester. Der hat tatsächlich allen Grund, durcheinander zu sein: Gerade wurde ihm ein Brief von Maria Stuart zugesteckt, Elizabeths schottischer und katholischer Thronrivalin, die seit 18 Jahren auf englischem Boden inhaftiert ist. Seine alte Liebe zu Maria lebt wieder auf, er will ihr helfen – und verfällt auf die fatale Idee, dass eine Aussprache der beiden Königinnen ihren Konflikt bereinigen könnte . . .

Im Theater an der Wien hat Leicester freilich noch einen anderen Grund zu stutzen: Immerhin konnte sich die Queen weitgehend unbemerkt aus Perücke und Kleid mit weitem Reifrock herausschälen und tritt ihm nun in schwarzen Pumphosen und Stiefeln entgegen. Was zunächst wirkt wie ein Verkleidungstrick des Personenschutzes, bedeutet wohl, die Macht sei männlich – oder, dass sich die „Virgin Queen“ auf einer symbolischen Ebene Leicesters Liebe entzieht, die sie schon verloren fühlt.


Flache Dramaturgie. Ja, Regisseur Christof Loy arbeitet konzentriert mit seinem szenisch-psychologischen Vokabular weiter, das man kennt und schätzt, zuletzt etwa von Händels „Ariodante“ mit der bärtigen Bartoli in Salzburg: Das war kein billiger Gag, sondern Puzzleteil in einem komplexen Spiel um eine restriktive Gesellschaft und die Aufhebung der Gendergrenzen durch Liebe. Obwohl er die Königinnen als zwei Seiten einer Medaille zeigt, kann Loy solch poetische Tiefe diesmal nicht erreichen. Das liegt wohl auch an der flacheren Dramaturgie, die im Vergleich zum Vorbild Schiller in jenem Libretto waltet, das Gaetano Donizetti 1835 unter dem Titel „Maria Stuarda“ komponiert hat. Der Abend besitzt dennoch seine Meriten, nicht zuletzt im Musikalischen.

Marlis Petersen hat bereits vor zwei Jahren am Theater an der Wien als Bellinis „Straniera“ mit ihren Belcantofähigkeiten verblüfft, schon damals mit Loy. Nun gelingt ihr als Titelheldin eine ähnliche, vielleicht noch bessere Leistung. Gewiss, sie verzichtet meist darauf, spektakuläre Spitzentöne einzulegen. Aber ein so biegsam-beweglicher und dabei höhensicher leuchtender Sopran wie der ihre kann sowohl mit hoheitsvoller Koloratur funkeln als auch in lyrischer Emphase schweben – und als furiose Darstellerin lässt sie auch die Impulsivität Marias glaubwürdig hervorbrechen.


Langer Atem. Sängerisch ist sie ihrer königlichen Gegenspielerin damit überlegen, denn Alexandra Deshorties kippt mehrfach vom Markanten ins Herbe. Ein interessanter Zufall, dass die Frankokanadierin nach Rossinis „Elisabetta, Regina d'Inghilterra“ vor knapp einem Jahr im Theater an der Wien nun dieselbe historische Figur bei Donizetti darstellt – und auch Norman Reinhardt war und ist dort wie da der zwischen zwei Frauen stehende Leicester. Bei ihr hat man das Gefühl, dass sie sich Partien wie diese letztlich abtrotzt; bei ihm erstaunt mehr die Breite des Repertoires (er war auch Bartolis Tony in der Salzburger „West Side Story“) als die eigentliche Bewältigung von Belcantorollen wie dieser. Reinhardt zog sich mit Anstand und langem Atem aus der Affäre, konnte aber gewisse Mühen in unangenehmer Lage nicht leugnen, während Stefan Cerny als kernig-schwarzer Talbot das restliche Ensemble anführte.

Unter Paolo Arrivabeni schmiegte sich das ORF Radio-Symphonieorchester Wien mit samtigen Echos und Einwürfen an die Singstimmen an, lieferte nobel tönende Tutti-Akzente oder die nötigen Tempoimpulse – eine prächtige Leistung, die sich vor allem im langen Abschied Marias bezahlt machte: Hier hatten auch die schwarz gekleideten Höflinge des Schoenberg-Chors ihren stärksten Auftritt. Dabei wandeln sich die Kostüme im Laufe des Abends von der Historie zur Gegenwart; ein Dutzend Pagen umschwirrt beide Königinnen als gleichsam nach außen gestülptes Innenleben. Und zu den Schlusstakten ist es Elisabeth selbst, die als Scharfrichterin die schwere Axt wider Maria hebt, bevor gnädig das Licht erlischt: Nach historischen Berichten musste der Henker dreimal zuschlagen, bis der Kopf endlich vom Rumpf getrennt war . . .

Ansonsten hat Katrin Lea Tag die Ausstattung stark reduziert und gewinnt ihrer leeren Einheitsbühne durch Drehung verschiedene Aspekte ab. Eine schiefe Ebene steigt von der Rampe nach hinten auf, sie ist die Deckfläche eines schräg abgeschnittenen Zylinders, den hinten eine Holzwand wie ein Rundhorizont abschließt: natürlich, das glatte Parkett von Palast und Politik. Doch da das Ganze bald zu kreisen beginnt, wächst die Seitenwand des Zylinders aus dem Boden und konzentriert den Blick auf die intimen Szenen, die sich in der Höhe ergeben. Dass die fast ständige Drehung nicht geräuschlos vor sich geht, sondern allerlei Knacken verursacht, mag immerhin die Wohlwollenden an das Knistern alter Schallplatten erinnern, auf denen die Schätze des Belcanto verewigt sind.

Noch am 21., 23., 26., 28., 30. 1. (19 Uhr); auf Ö1 am 27. 1. (19.30 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2018)

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