Herrin über die künstliche Intelligenz

Stanislav Jenis
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Das „weltweit einzige Unternehmen mit einer einsatzbereiten und marktfähigen starken künstlichen Intelligenz“ soll Xephor Solutions sein. Am Firmensitz ist alles anders als erwartet.

KPMG-Partner und Digitalisierungsexperte Werner Girth ist begeistert. Das Start-up Xephor Systems habe eine künstliche Intelligenz entwickelt, einsatzbereit und marktfähig – nicht im Silicon Valley, nein, in Purkersdorf, westlich von Wien. Also nichts wie hin.

Die Kommandozentrale: im Keller eines Einfamilienhauses. Die Chefin: blond, zierlich, mädchenhaft. Schon die ersten Worte von Isabell Kunst (35) konterkarieren dieses Bild. „Bitte Schuhe ausziehen“, verlangt sie energisch. Sie wolle keinen Schmutz im Haus. In Hotelschlapfen tappen wir weiter, in den Keller, einen abgedunkelten Raum voller gewaltiger Server und mit einem Cockpit aus Workstations, elf Bildschirme stehen im Kreis. Hier werkt CTO Konstantin Oppl, der Chefentwickler. Er darf nicht gestört werden, also übersiedeln wir in ein winziges Büro.

Wie alles begann

Kunst traf Oppl 2013 bei einer Veranstaltung. Man plauderte, und er erzählte, an einer künstlichen Intelligenz zu arbeiten. Diese sollte nicht wie üblich induktiv denken (aus vielen Fällen baut man eine universell gültige Regel), sondern empirisch-deduktiv: Man bildet Hypothesen, was bestätigt wird, gilt so lang, bis Besseres kommt.

Das interessierte („Mich interessiert alles“) die junge Sozialwissenschaftlerin mit Doktorat in internationalem Medienmarketing. Obwohl sie zwei Stunden später noch immer nicht ganz verstand, was er da machte. Oppl lud sie ein, zeigte ihr die Geräte, gab ihr Bücher zu lesen – und sie fing Feuer. Hat im Marketing angepackt, kümmert sich um die Finanzen. „Bald war ich omnipräsent.“

2014 kündigte sie ihren Job als Immobilienmanagerin („Ich wusste immer, dort bleibe ich nicht“) und übernahm die Geschäftsleitung. Das System sollte denken können wie ein Mensch, also tauchte sie in Hirnforschung („Die Bücher gibt's im Uni-Shop“) und Philosophie („Kant und Popper“) ein. Sie sei der lebende Beweis, sagt sie, dass man ein Feld nicht studiert haben muss, um darin zu arbeiten.

Oppl widmete sich derweil den technischen Aspekten: brachte dem System Deep Learning in Echtsprache bei, eigenständige Ideen hervorzubringen und auf Ereignisse zu reagieren, auf die es nicht trainiert war. Daneben entwickelte er Patente zur Reduktion von Datenmenge und Stromverbrauch.

Auf Kunden nicht vorbereitet

2016 klopfte eine große Bank an (den Namen will Kunst nicht nennen). Sie hätte von Xephor gehört und brauche eine Liquiditätsrisikoprognose. Nicht nur aus historischen Daten, sondern mit Bezug auf relevante aktuelle Ereignisse. „Wir waren völlig überrascht, als da plötzlich ein zahlender Kunde vor der Tür stand“, sagt Kunst. Ganz Start-up hatte man bisher von Investorenkapital und Business Angels gelebt. Aber wer lehnt schon einen Großauftrag ab? Die Anwendung funktioniert bis heute.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Aus allen möglichen Branchen kamen die Aufträge. Bald werkten 16 Entwickler rund um die Uhr, der Großteil selbstständige Freelancer.

2017 zog Kunst die Notbremse. Sie wollte „keinen Algorithmus zum Onlinepokern entwickeln und nichts, was den Leuten das Geld aus der Tasche zieht“. Und auch nichts für das Militär.

Was wollte sie dann? „Etwas, was die Menschheit weiterbringt.“ Ein hehrer Anspruch, den nur drei Bereiche überstanden: Der erste im Gesundheitswesen in der Dokumentenanalyse. Sie wird derzeit von Medizinern bewerkstelligt, die Haupt- und Nebendiagnosen jedes Patienten in jene 14.000 Codes übersetzen, die die Krankenkasse akzeptiert – ein zwar gut bezahlter, aber mühsamer Job. Der zweite Bereich hilft der Pharmaforschung, aus Millionen Möglichkeiten die vielversprechendsten Molekülstrukturen für künftige Medikamente auszuwählen – auch für seltene Krankheiten, die meist aus Rentabilitätsgründen ausgeklammert werden. Im dritten Bereich, der Genetik, analysiert die künstliche Intelligenz Gencodes, welches Medikament zu welchem Geno- und Phänotyp passt.

Früher, sagt Kunst, als sie in der Immo-Branche gearbeitet habe, habe sie sich gewünscht, etwas bewirken zu können. Etwas, worauf sie zurückblicken könne, wenn sie alt sei. Jetzt mache sie das. Und es mache sie sehr, sehr zufrieden.

Zur Person

Der Karrierepfad von Isabell Kunst (35) ist wendungsreich. Nach ihrem Doktorat in Internationalem Medienmarketing an der Uni Wien arbeitete die zweifache Mutter als Marketingmanagerin bei einer Steuerberatung, später als Area Manager in einer Immobilienfirma. 2013 begegnete sie Xephor CTO Konstantin Oppl, der sie für künstliche Intelligenzen begeisterte. Heute, als CEO von Xephor, sieht sie sich als „lebenden Beweis, dass man etwas nicht studiert haben muss, um darin zu arbeiten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2018)

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